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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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dunkelbärtige, hochgewachsene Monarch und sein ordenbesternter Begleiter stiegen aus und näherten sich dem seltsam verunstalteten Menschenkind, das die beiden Männer ohne Scheu mit trägen, leeren Blikken anglotzte.
    »Wo bist du denn her? Wie heißt du denn?« fragte der König freundlich lächelnd, beugte sich nieder und griff nach dem Zwerg: »Na, sag schön deinen Namen!« Der aber bekam ein ärgerliches Gesicht, schob seine lefzige Unterlippe schmollend vor und stieß mit dem Ellenbogen gegen den Arm des hohen Herrn.
    »Na, na, ich tu’ dir doch nichts! Sag schön deinen Namen, bitte!« wiederholte der sonst so reizbare Monarch zum Erstaunen seines Begleiters und der Kutscher und wandte sich an den ersteren: »Fragen Sie! Vielleicht haben Sie mehr Glück!« Der Herr mit den vielen Orden erfaßte einen Arm des sich heftig sträubenden Zwergs und nahm das verkrüppelte Wesen auf den Schoß: »Na, hörst du! Sag schön, wie du heißt! … Kriegst ein schönes Talerstück! Sag schön!« Der König lächelte, die Kutscher wagten herabzuschauen und grinsten ebenfalls lautlos. Der Zwerg stieß und stemmte seine kurzen Arme gegen die Ordensbrust des fremden Menschen, der sie festhielt. Er schimpfte, fing zu jammern und schließlich zu weinen an, und von all dem, was er aus sich herausplapperte, war nur »Lau’bua! Ruah lo’n!« zu verstehen. Einer von den Grafs, wenn er dabeigestanden hätte, wäre nicht wenig erschrocken, denn die Worte hießen: »Lausbub! In Ruh’ lassen!« Doch der König schien an alldem größten Gefallen zu finden. Er befragte die Kutscher über die Herkunft des Zwergs, streichelte der Kleinen über die Backen und fuhr wieder weiter.
    Niemand im Ort hatte den Vorfall gesehen. Kein Wunder also, daß es ein starkes Aufsehen machte, als am andern Tag der Kabinettssekretär des Königs ins Stellmacherhaus kam, sich außerordentlich leutselig mit dem Maxl unterhielt und die alte Stellmacherin aufforderte, mit dem Zwerg zum Wiesmaier hinunterzukommen.
    »Majestät haben sich gestern königlich amüsiert, Frau Graf«, sagte der hagere Herr mit dem gestutzten, graumelierten Schnurrbart und erzählte vom gestrigen Zusammentreffen des Königs mit dem Zwerg. Dem erstaunten Maxl kam wahrhaftig alles vor wie in einem Märchen, und die Stellmacherin fragte fort und fort verwirrt und devot: »Ja, Exzellenz, hat die Majestät das wirklich verlangt? Ja, wir sind doch arme Leut’ … U–und das Resei hat doch keinen Verstand! Was fangt denn unser gnädiger Herr König mit dem unvernünftigen Ding an?«
    »Beruhigen Sie sich nur, Frau Graf. Majestät interessieren sich außerordentlich«, sagte der Kabinettssekretär wohlwollend, »also kommen Sie punkt 4 Uhr, ja?« Dann wandte er sich an den Maxl, fragte dies und das, über sein Alter, über die Bäckerei, und wie das Geschäft gehe. »Soso, Schuß durch die rechte Hand? Bei Orleans, soso? Hmhm! Und, sagen Sie, die Hand behindert Sie nicht bei der Arbeit?« fragte er.
    »Jaja, schon! Eine gesunde Hand wär’ besser, aber es geht«, erwiderte der Maxl vorsichtig, offenbar fiel ihm plötzlich seine Kriegerpension ein, und ob der feine Herr nicht am Ende gar gekommen sei, um zu schnüffeln.
    »Unsereins darf nicht so empfindlich sein, Exzellenz«, redete er weiter und meinte, jedesmal, wenn ein Witterungsumschlag sich ankündigte, spüre er ziemliche Schmerzen in der Hand. Der Kabinettssekretär aber schien dies kaum zu hören. Er sagte: »Jaja, Ihr Brot ist ausgezeichnet, Herr Graf. Tüchtig! Tüchtig! Majestät hat Anordnung gegeben, daß Sie das Gebäck liefern dürfen. Ich gratuliere!« Der Maxl schaute den feinen, freundlichen Herrn ungewiß an. Er brachte kein Wort heraus. Ein leichter Taumel schien ihm in den Kopf gestiegen zu sein. Seine Backen wurden heiß und rot.
    »Jaja, Herr Graf! Und wenn Sie sich bewähren, dürfen Sie den Hoflieferantentitel erhoffen. Recht bald sogar«, half ihm der legere Kabinettssekretär, der wohl merken mußte, wie verwirrt der Maxl war. Förmlicher setzte hinzu: »Sie bekommen morgen Bescheid, was zu liefern ist.«
    »Besten Dank, Exzellenz, besten Dank!« brachte der Maxl gerade noch heraus und begleitete den hohen Herrn mit linkischen Komplimenten bis zur Haustüre. Er kam in die Stube zurück, blieb heftig schnaufend stehen und rief wie einer, der eine unerwartete Rettung aus jäher Todesgefahr erlebt hat: »Ja, hm! … Ja, das ist ja, hm! – ja, jetzt ist’s doch nicht mehr gefehlt! … Ja, hm, was es doch

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