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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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und, obgleich dies staatlicherseits streng untersagt worden war, alle Bistümer leiteten sie weiter, in allen deutschen Kirchen verlasen die unerschrockenen Priester diese Bannschrift, welche die verfolgten Glaubensbrüder ermutigte und die Massen aufstachelte. Ohne daß sie es gewahr wurden, ergriff die eifernden Bauern die Politik. Nicht mehr um Gott und Glauben ging es ihnen, sondern um das weltliche Recht ihrer Pfarrer und Bischöfe. Der Jani-Hans war endlich aus der Haft zurückgekommen und galt als mannhafter Glaubensstreiter. Auf ihn hörten die Leute. Ihn versorgte der Pfarrer mit Nachrichten und Belehrungen, die vom Klerus für das Landvolk bestimmt waren. Zum ersten Mal erfuhren die Bauern dadurch von der Reichstagspartei aller Katholiken, vom »Zentrum«, und die ganze Pfarrei verstand den Hans, wenn er am Schluß jedes Hochamts mit lauter Stimme anhub: »Lasset uns beten gegen die höllische Anfechtung und wider die unrechtmäßige Verfolgung unserer christkatholischen Mitbrüder, auf daß Gott, der Allmächtige, sie errette und in unsere Mitte zurückführe! Lasset uns beten, auf daß der Herr, unser gnädiger Gott, die Ungläubigen bekehre und unsere blinden Feinde verdamme!« Ergriffen beteten alle fünf Vaterunser und wünschten nur eines dabei: der Teufel möchte doch recht bald den heidnischen Bismarck holen. Zweifellos, das Land blühte auf, der Wohlstand wuchs ins Breite, doch der wilde Mann in Berlin herrschte zu fühlbar. Jeder Mensch spürte seinen harten Druck. Nicht weniger nämlich als die Katholiken drangsalierte er die städtischen Arbeitermassen, die als »Sozialdemokratische Partei« um mehr Rechte und bessere Löhne kämpften. Nur die Reichen, die Herren der Fabriken, die ostelbischen Junker und Militärs jubelten dem Kanzler zu. Das Volk hatte er tief verstimmt und gereizt.
    Auch in Aufkirchen gab es jetzt viele Menschen, die sich oft nach einigen Worten unversöhnlich verfeindeten. Sie hatten einander nie etwas getan, waren nicht etwa wegen einer schlechten Handelschaft gegeneinander aufgebracht – nein, es war nur irgendeine politische Bemerkung gefallen, und nun haßten sie sich mit aller Kraft.
    Die Leute munkelten auch, daß dieser teuflische Bismarck den lieben, guten, aber ach so erbarmungswürdig blinden König verhext habe. Auch der war dadurch der ewigen Verdammnis verfallen. Kein Wunder, daß die Heimraths sich recht scheu benahmen, wenn sie der Majestät das übliche Glas Wasser reichten. War seine Karosse außer Sichtweite, so bekreuzigten sie sich, schauten zum Himmel auf und murmelten bitthaft: »Herr, erlöse unsern König und steh ihm bei in seiner Not!«
    So verlief ein friedloses Frühjahr, und der Sommer stand wieder heiß über den reifenden Feldern. Maxls Nachbar in Berg, der alte Konrektor Kernaller – ein höchst scheuer Mann, der anno 48 mitgekämpft hatte und mit knapper Not dem Hochgericht entgangen war –, tauchte wieder in seinem kleinen Vorgärtchen auf. Das tat er nur in politisch ruhigen Zeiten. Nichts verachtete er so sehr wie die Deutschen, die – wie er mitunter hervorzischte – nur »knechtselige Hundsfötter« seien. An einem schönen Tag grinste er über seinen Zaun und schrie dem Maxl zu: »Jetzt ist’s aus mit Kriegsgefahr und Geplärr! Endlich hat die kultivierte Welt diesem Säbelhelden Bismarck auf die Finger geklopft!« Freilich verstand der Maxl diese dunklen Andeutungen nicht, aber offenbar hatte der Kernaller recht. Die Kriegsgefahr schien sich wirklich verflüchtigt zu haben. Während im vorigen Jahr nicht wenig Herrschaften ausgeblieben waren, bezogen sie heuer wieder vollzählig ihre Landsitze. Sogar bei den beiden Fischern in Leoni mieteten städtische Familien die besseren Kammern. Viel Arbeit gab’s beim Maxl, doch Stasl, mit der er sich nach vielfachen Reibereien immer wieder halbwegs ausgesöhnt hatte, konnte und wollte dem Maxl nicht mehr helfen. Ein böhmischer Maurer auf dem Kastenjakl-Bau hatte sie geschwängert und ihr die Heirat versprochen, wenn sie mit ihm nach Amerika ginge. Sie wurde dick und immer dicker und ging nicht mehr aus dem Haus. Die Nachbarn redeten ungut, der alte Stellmacher war außer Rand und Band, jeden Tag gab es heftigen Streit, und eines Tages ging die Stasl nach Starnberg und fuhr zu ihrer verheirateten Schwester Viktorl in die Stadt. Durch einen Advokaten ließ sie dem Maxl einen Brief schreiben, worin sie ihre Heiratsabsichten mitteilte und ohne Umschweife fünfhundert Gulden als Anzahlung

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