Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
alles Klarheit geschaffen würde. Allmählich kam eine Gereiztheit auf. Der Verstorbene schien vergessen. Nur das wenige, das er hinterlassen hatte, interessierte noch. Oft und oft, während des hitzigen Aufeinanderprallens der Meinungen, schüttelte die alte Stellmacherin den Kopf und zerdrückte eine Träne. Neben ihr hockte der Zwerg, glotzte teilnahmslos drein, verstand nicht ein Wort und plapperte ab und zu unverständliche Laute heraus.
    »Es wird auch alles beim Advokaten gemacht«, sagte der Maxl fest und schaute auf die Schwestern, »nur keine Angst, ich hintergeh’ euch nicht! Es soll keiner zu kurz kommen, aber zuerst muß sich doch einmal herausstellen, was vom Vater selig ist und was ich mir selber geschaffen hab’. Ich brauch’ doch auch gar nichts mehr davon. Meine Bäckerei, die Mehlkammer und das Kammerl über dem Backofen sind Sach’ genug für mich, wenn’s sein muß.« – Da lenkten die Schwestern wieder ein und hielten ihm entgegen, ob er denn die Grundfläche, auf der die Bäckerei stünde, für wertlos halte, ob er vielleicht verlangen wolle, daß Stasl, Kathl und Lorenz in die Stube, die Kuchl, in die winzige Kammer und väterliche Werkstatt des alten Hauses einheiraten sollten, ob denn der Mutter nach der Übergabe nicht ein ausreichendes Leibgedinge zustehe, und überhaupt, was sei denn mit den zwei Grundstücken, dem Kartoffelacker und dem Schlag Holz? Die müßten eben verkauft und von dem Geld die Geschwister hinausbezahlt werden, Recht bleibe Recht, basta! Da wurde der Maxl wütend und schlug auf den Tisch.
    »Nichts wird verkauft! Nicht was Schwarzes unter einem Fingernagel ist, verkauf’ ich!« schrie er und fing zu fluchen an. Er war Meister im Fluchen. Wenn er einmal anfing, kam niemand mehr zu Wort. Die Geschwister ließen zunächst den ärgsten Sturm verbrausen, aber sie wurden nicht umgestimmt. Im Gegenteil, jetzt verbissen sie sich erst recht in ihre Ansichten.
    »Lorenz, die Werkstatt nimmst du!« schrie der Maxl seinen schweigsamen Bruder an und wandte sich wieder an alle, »und wenn der Advokat alles ausgemacht hat, richt’ ich mich danach. Verkauft wird nichts! Hab’ ich’s soweit ’bracht, daß wir aus dem Dreck heraus sind, nachher wird’s auch weitergehn! Aus!« Verfeindet ging man auseinander. Nur der Lorenz stand beim Maxl, oder vielmehr, er mischte sich nicht in diese Auseinandersetzungen. Die Kathl blieb noch tagelang mürrisch und aufsässig, nachdem die Schwestern weggefahren waren. Da sie aber der Maxl gerecht entlohnte und jedes böse Wort vermied, da sie in diesen Sommertagen nicht das mindeste mit ihrer Näherei verdiente, so fügte sie sich vorläufig darein. Sie war ja nie so starrköpfig wie die Stasl und auch nicht so gewitzigt wie die anderen Schwestern in der Stadt. Sie ließ sich immer nur mitreißen von diesen. Und sie hatte die wohltuende Eigenschaft, Streitigkeiten und Feindschaften alsbald wieder zu vergessen. Sie war eine leicht empfindsame, nachdenkliche Natur, zeitweise überaus lustig und heiter, und da sie auch recht gut aussah, warfen viele Männer einen begehrlichen Blick auf sie, wenn sie – adrett gekleidet – zur Kirche ging oder auf einem Tanz erschien. Nur eins machte sie sogleich abweisend und verschlossen: wenn sie merkte, daß jemand auf sie herabsah wie viele von den Herrschaften und deren Gesinde.
    Wenn der Maxl bei den Auseinandersetzungen seinen drängenden Schwestern nicht recht gegeben hatte, in Augenblicken des Nachdenkens erkannte er die Billigkeit ihrer Ansprüche an und war voller Sorgen. Wie sollte er nunmehr auch all diese schweren, fast untragbaren Verpflichtungen übernehmen, ohne das, was ihm bis jetzt auszubauen gelungen war, ernstlich, ja tödlich zu gefährden? Er zermarterte sich den Kopf und fand keinen Ausweg. Verdrossen werkelte er weiter.
    Der Zwerg, der an solchen Sonnentagen öfter auf der Dorfstraße auftauchte, jagte den Herrschaftskindern stets Schrecken ein. Sie erblickten ihn, schrien auf und ergriffen die Flucht vor ihm. Er blieb stehen und grinste kurz. An einem Nachmittag tappte er wieder so dahin. Auf halbem Weg zum See-Ufer begegnete ihm die königliche Karosse, auf die er, stehenbleibend, schaute. Der König beugte sich aus den himmelblauen Sammetpolstern und blickte durch das Wagenfenster. Der Zwerg verzog seinen breiten, lefzigen Mund, lächelte teigig und plapperte irgend etwas. Da hielt die Karosse an, und etwas, das sich noch nie ereignet hatte, geschah. Der blasse,

Weitere Kostenlose Bücher