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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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flößte dem Alten, dessen steifen Oberkörper der Maxl in die Höhe gerichtet hatte, den Tee ein. Hart und vernehmbar schluckte der Kranke. Immer wieder hielt er inne und holte Atem. Die Kathl tauchte im Türrahmen auf und kam zögernd ans Bett. Der Lorenz war schon weggegangen. Durch das rasche Hineintrinken des heißen Tees war der Stellmacher belebter geworden. Ein tiefes Rot überzog seine eingefallenen Bakken und, als ihn der Maxl sacht auf das Kissen gleiten ließ, lächelte er müd und sagte: »Geh nur an deine Arbeit! Ich riech’ das Brot schon.« Es war auch höchste Zeit. Einige Wecken im Backofen waren angebrannt. Hastig arbeitete der Maxl, um den Ofen leer zu bekommen. Er holte den Korb und zählte für die Kathl die Semmeln ein. Als seine Schwester endlich kam, fragte er kurz nach dem Befinden des Kranken, und als die Kathl meinte, er fühle sich offenbar ein bißchen besser, sagte er, sie solle sich heute beeilen heimzukommen, er wolle den Doktor holen.
    Der hinsiechende Stellmacher lag noch eine ganze Woche so da. Zeitweise fühlte er sich besser, dann wieder fiel er in eine stumpfe Lethargie. Der Doktor wußte nicht viel darüber zu sagen. Es könne wieder vorübergehen oder auch nicht, äußerte er und bemerkte dazu, bei alten Leuten lasse sich nichts voraussagen. Einmal kam der Kastenjakl und verbrachte mit dem Maxl eine ziemliche Weile vor dem Krankenbett. Unangerührt, fast spöttisch, sagte er: »Lorenz, wir sind zäh wie Juchtenleder! Und wenn’s schon dahingehen muß – der Maxl hat’s gut gemacht! Der Tropf hat uns alle übertrumpft.« Er grinste leicht und meinte wiederum: »Früher oder später müssen wir ja alle ins Gras beißen. Wer weiß, für was so was gut ist!« Der Kranke sah ihn dabei nur kalt an. Es schien, als habe er die Lippen fest aufeinandergepreßt. Der Maxl war wutblaß, dämmte allen Zorn zurück und sagte: »Es wird schon wieder besser, Vater! Und nachher mußt es dir gut gehn lassen.« Er zupfte den Kastenjakl, gab ihm unbemerkt einen Wink mit den Augen, und sie gingen aus der Kammer. Bald darauf erschien der Pfarrer und versah den Kranken mit den Sterbesakramenten. In der zweiten darauffolgenden Nacht, gerade als sie einschlafen wollte, hörte die Stellmacherin ihren Mann schmerzhaft röcheln. Er bewegte sich kurz, stöhnte langgedehnt das Wort »Ma-a-axl« und gab nicht mehr an. Sie zündete zitternd die Kerze an, rüttelte an ihm, stand auf und holte den Maxl von der Backstube herauf. Der Stellmacher war verschieden. Ruhig, ohne die geringsten Anzeigen eines vorangegangenen Todeskampfes, lag er da. Nur der Glanz seiner Augen schien erstarrt. Der Maxl drückte ihm die Lider zu. Nach und nach kamen die Kathl, der Lorenz, und auch den Zwerg, der keinen Toten sehen mochte und sich heftig dagegen wehrte, holte die Stellmacherin. Sie beteten ein Vaterunser und besprengten den Verstorbenen mit Weihwasser.
    Zum Begräbnis kamen die zwei verheirateten Schwestern aus der Stadt und teilten mit, daß die Stasl vor zwei Tagen eine schwere Geburt überstanden habe, das Kind sei nach einigen Stunden verstorben, es tue ihr weh, ihrem Vater nicht das letzte Geleit geben zu können, und sie lasse alle grüßen. Das stimmte den Maxl offenbar versöhnlich, denn er sagte: »Sagt’s ihr nur, sie kann jederzeit wieder heimkommen.« Als man am Nachmittag in der Stube beisammensaß, ging es recht nüchtern her. Die Viktorl, die Oberlehrersgattin in München war, meinte: »Ja, mein Gott, Maxl, jetzt, wo es soweit ist, jetzt muß natürlich die Hinterlassenschaft advokatorisch geregelt werden. Die Annamarie und ich, wir können ja vorläufig auf das bißl, das uns zufällt, warten. Wir wollen dir keine neuen Schwierigkeiten machen. Aber die andern – die Stasl, der Lorenz und du, Kathl –, von euch wird keins warten können. Ich mein’, Maxl, ich will ja da nicht streiten, nein-nein! Aber es muß doch, wie es überall ist, da auch bei uns eine Ordnung werden, sonst wird ja ewig kein Frieden, und für dein Geschäft ist das schlecht.« – Die beiden Münchnerinnen schauten auf ihre Mutter und fragten, was denn sie dazu meine. Die aber wackelte nur traurig mit dem Kopf und brümmelte: »Ich bin ein altes Weib und werd’ auch bald neben meinem Lorenz liegen. Der Maxl wird schon wissen, was er zu tun hat.« – Damit aber gaben sich die Fragerinnen nicht zufrieden, und auch die Kathl schlug sich auf ihre Seite. Sie meinten es gar nicht böse, sie beharrten nur darauf, daß bald über

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