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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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auf ihr später zu erwartendes »Vermögen« verlangte. Das nun schreckte den Bruder nicht, denn wenn ihm auch faktisch das Stellmacherhaus gehörte, übergeben hatten die Alten noch nicht. Es war also Sache des Vaters, sich mit der Stasl auseinanderzusetzen. Freilich fiel letzten Endes doch alles wieder auf den Maxl, doch er zerbrach sich vorläufig nicht den Kopf darüber.
    »Ah!« besänftigte er seinen wütenden Vater, »ah, die hat ja der Rappel ’packt! Die weiß nicht mehr, wo ihr der Kopf steht! Schwangere Weiber kennen sich ja nie aus! Vorläufig wird’s gut sein, wenn wir gar nichts machen. Sie wird schon wieder zur Vernunft kommen.« Er mußte alle Überredung aufwenden, um den zornigen Stellmacher vom Stadtfahren abzuhalten. Dabei wäre nichts Gutes herausgekommen.
    Bedrückt war der Maxl nur über den Verlust der brauchbaren Arbeitskraft. Die couragierte Stasl hatte es von Anfang an verstanden, die Kundschaften zu gewinnen und richtig zu behandeln. Notgedrungen trug jetzt die Kathl das Brot aus, aber es zeigte sich sehr schnell, daß die Herrschaften sie nicht mochten. Die Kathl war launisch und einsilbig, sie konnte nicht für jede Kundschaft ein freundliches Gesicht aufsetzen, und sie gab sich auch keine Mühe, die dienernd Beflissene zu spielen. Zudem war sie ein schwaches Ding, die den Brotkorb nicht allzu voll nehmen konnte, und dann brauchte sie zur Tour der Stasl den ganzen Tag. Gewohnt, regelmäßig ihr Frühbrot zu erhalten, beschwerten sich die Herrschaften über ihr Zuspätkommen, und da die Kathl sich nie entschuldigte, bestellten manche ab. Mit Hangen und Bangen erwartete der Maxl jeden Tag die Rückkehr seiner Schwester. Sie brachte Semmeln zurück und hatte nur ein paar Wecken verkauft. Er redete ihr gut zu, er beschwor sie, allmählich aber stritten sie, und die Kathl weigerte sich, weiterhin das Brot auszutragen.
    Zum erstenmal in seinem Leben fühlte der Maxl schmerzlich, wie schwierig und bitter es sei, allein zu sein. Der Schauer und die Wucht dieser Gewißheit waren stärker als alle sonstigen Sorgen. Er sah Vater und Mutter an, sah die Kathl, den Lorenz und den Zwerg an. Die Stasl, die verheirateten Schwestern in der Stadt und der Kastenjakl fielen ihm ein. Der Irlinger kam ihm in den Sinn, und er erinnerte sich an alle Menschen, mit denen er bis jetzt in Berührung gekommen war: an seinen ehemaligen Münchner Lehrmeister, an Gesellen und flüchtige Bekanntschaften von einst, an Handwerksburschen, die mit ihm gewandert waren, an Kriegskameraden und Zechkumpane, an die Nachbarn und die Leute in der Pfarrei.
    Keiner dieser Menschen war jemals sein Freund gewesen. Das gewohnheitsmäßige Zusammenleben mit den einen oder geschäftliche Notwendigkeit im Umgang mit den anderen hatten wohl hin und wieder eine gewisse, zweckbestimmte Vertraulichkeit ergeben. Nie aber war das ganze Menschenherz dabei, Maxls gepeinigtes, wehes Herz, das sich mitteilen wollte und tief beunruhigt nach einem hingebenden Herzen verlangte.
    »Nein, so wie der Kastenjakl – das ist kein Leben. Das hat keinen Sinn! Das kann ich nicht! Der Mensch ist doch nicht deswegen da, daß er eben da ist! Er kann doch nicht bloß Häuser bauen oder Semmeln backen und verkaufen, und wenn er dann gestorben ist, ist alles aus, alles weggewischt und wie nie gewesen! Nein, nein! Das kann doch nicht sein! Das ist ja ganz und gar sinnlos!« mochte er in diesen zermürbenden Augenblicken wohl denken. Und dann fiel doch wieder das plumpe Nächstliegende über ihn her. Es blieb ihm keine andere Wahl. Er ging wieder zur Kathl, fing zu reden an und redete geradezu inständig bittend auf sie ein. Er gab ihr recht, selbst wo sie offensichtlich im Unrecht war. Er würgte jeden aufsteigenden Zorn hinunter. Er gab seiner Schwester dreißig neue Markstücke und machte ihr Versprechungen, die er nie zu halten imstande war. Er dachte an nichts anderes als nur jetzt weitermachen, nur aushalten!
    »Gut«, sagte die Kathl endlich und setzte dazu, »nicht daß es heißt, ich hab’ dich im Stich gelassen! Aber du siehst doch, ich taug’ nicht dazu! Du mußt dir doch endlich wen nehmen! Oder heirat’ doch endlich! Jetzt ist’s doch nicht mehr so wie früherszeiten! Jetzt macht eine mit dir doch gar keine so schlechte Partie mehr!« »Jaja! Jaja! Das ist leichter gesagt als getan!« nickte der Maxl, »glaubst du denn, daß ich das nicht schon oft selber überlegt hab’? … Aber du siehst’s ja, so einfach geht das nicht … Die ganze

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