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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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überdachte in diesem Augenblick jeder seine Sorgen.
    »Hm, wenn er sich bloß nicht übernimmt, der Bismarck! So ein Krieg kann einmal gut gehen, die meiste Zeit bleibt er ungewiß, und für unsereinen bringt er bloß Schaden«, meinte der Kastenjakl und zeigte dem Maxl einige Zeitungen. Dicke Überschriften standen da: ›Herausfordernde Haltung Frankreichs!‹ – ›Freche Revanche-Reden im Pariser Parlament!‹ – ›Unsinnige Verstärkung der französischen Armee!‹ – ›Bruch des Frankfurter Friedensvertrages! Verdächtige Truppenkonzentrationen an der Grenze!‹ – Schnell überflog sie der Maxl. Von Wort zu Wort bekam er ein ernsteres Gesicht. Freilich wußte weder er noch der Kastenjakl, daß der Kanzler nun, nachdem er erleben mußte, wie schnell sich Frankreich erholt hatte, allerorten den sogenannten »prophylaktischen Krieg« gegen diesen beunruhigenden Feind empfahl. Daß die Zeitungen des ganzen Reiches durch Bismarck gezwungen wurden, eine solche säbelrasselnde Sprache zu gebrauchen, um das zufriedene deutsche Volk aufzuhetzen, das blieb für den kleinen Mann ein Geheimnis. Er nahm das alles hin als lautere Wahrheit, fragte nicht nach ihren Gründen und überlegte nur bang, was im Ernstfall für ihn und sein kleines Leben dabei herauskomme. Eins nur war für Maxl gewiß: Bismarck spaßte nicht. Ihm war alles zuzutrauen.
    »Ich kann dir sagen, Maxl, schön schaut das nicht aus … Überall spürt man’s auch schon. Die Herrschaften fangen schon wieder zu sparen an. Bei Hof kennt sich auch keiner aus, und das Baumaterial wird wieder teurer«, erzählte der Kastenjakl und setzte dazu: »Wie ich das Bauen angefangen hab’, da ist oft angefragt worden, da hat’s gewimmelt von Interessenten! Jetzt ist’s wie abgeschnitten.« Der Maxl konnte zwar nicht klagen. Sein Brot hatte sich eingeführt, der Kreis der herrschaftlichen Kundschaften war geblieben, aber der Irlinger drängte in der letzten Zeit stets auf baldige Bezahlung der Mehlrechnungen. Das war nicht immer leicht, denn der Wiesmaier zum Beispiel, der viel Brot bezog, beglich seine Schulden stets erst nach Verlauf eines Monats und verlangte außerdem, daß der Maxl jede Woche eine ergiebige Zeche machte. Auch einige Herrschaften zahlten meist nach dem Ersten.
    »Und ins Schloß? Mag man da dein Brot nicht?« fragte der Kastenjakl. »Hm, jaja«, drückte der Maxl herum, »zu machen wär’ das vielleicht schon, aber ich kann doch nicht.«
    »Warum? Wer steckt denn da dahinter?« forschte der Kastenjakl und wurde neugierig. – »Der Wiesmaier meint, ich müßt’ öfter zu ihm kommen und Zechen geben für die Dienerschaft … Wo soll ich denn das Geld hernehmen?« klagte der Maxl, »vorläufig geht’s bei uns grad um. Ich muß mich arg drehen und wenden, daß wir durchkommen.« – Da bekam der Kastenjakl eine undurchsichtige Miene und strich das Geld, das bis jetzt auf dem Tisch gelegen hatte, in die Schublade. »Jaja, so hat eben jeder sein Kreuz«, brummte er ablenkend, und bald gingen sie auseinander. Wenn der Maxl auch auf seinen Bismarck baute und, ohne genauer darüber nachzudenken, dessen Politik gegen die Franzosen für ganz richtig hielt, sein Kopf war diesmal doch voll düsterer Ahnungen. Manchmal blieb er kurz stehen, schaute geradeaus in die Luft und atmete bedrückt.
    Monatelang waren die Zeitungen voll von Gerüchten über den nahen Kriegsausbruch. Beim Wiesmaier und beim Fink debattierten die Leute auch öfter etwas lebhafter, dennoch schien niemand besorgt zu sein. Nur der Maxl blieb bei diesen Gesprächen gegen seine sonstige Gewohnheit meist wortkarg und redete gleich wieder von etwas anderem.
    Weit erregter waren die Leute über den nun erst voll entbrannten, hartnäckigen und weit verzweigten Kampf zwischen Katholizismus und Kanzler. Unnachgiebig, mit wahrer Berserkerwut, bekämpften sich die feindlichen Mächte. Bismarck, der offenbar einen so kühnen Widerstand der Geistlichkeit nicht erwartet hatte, schreckte vor keinem Mittel zurück. In Preußen war der Katholik ein geächteter Mensch, und nicht wenige Kleriker saßen wegen Mißachtung der damaligen »Maigesetze« im Gefängnis. Die breiten Gläubigenmassen aber waren mit ihnen. Keine Drangsal und Verfolgung schreckte sie. In seiner Maßlosigkeit ging der Kanzler so weit, die katholische Bevölkerung ganz Deutschlands als »übernational, staatlich unzuverlässig und vaterlandsfeindlich« zu verleumden. Papst Pius IX. gab seine berühmte Enzyklika heraus

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