Das Leben meiner Mutter (German Edition)
und Wiesengrundstücke verkauft. Sie gehörten jetzt dem Schropp von Leoni, dem Doll von Allmannshausen und der Heimrathin.
Einmal in der Frühe kläffte der Kastenjakl die alte Pflegerin, die seinen Haushalt führte, bösartig an: »Geh mir aus den Augen, du alte Hex’! Verschwind! Ich will dich nicht mehr sehen, du niederträchtige Furie!« Und als sie betroffen und weinerlich fragen wollte, machte er Anstalten, sie buchstäblich hinauszuwerfen. Da lief sie erschreckt auf ihre Kammer, packte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und ging davon. Der Knecht mußte mit ihm die zwei Kühe auf den Wolfratshausener Markt treiben. Nach dem Verkauf sagte er zu ihm mitten auf dem Platz: »So, jetzt brauch’ ich dich nicht mehr! Kannst gleich rumfragen, ob dich wer nimmt! Hol deine Sachen und basta! Ich will nichts mehr hören und sehen!« Er drehte sich um und stelzte davon. Allein wollte er sein, der Kastenjakl. Pläne, Ziegelsteine, Balken und Bretter, Mörtel, Zement und Berechnungen, die sich auf seinen Bau bezogen, waren ihm wichtiger und interessanter als Menschen. Erst nach Monaten erfuhr der Maxl, daß ein pensionierter Leibkutscher des königlichen Hofes die Maxhöhe gekauft hatte und den Kastenjakl in einer kleinen Kammer weiter wohnen ließ. Schon seit fast einem Jahr war der alte Mann nicht mehr nach Berg gekommen und, um bei der Wahrheit zu bleiben, sein Neffe war ganz froh darüber. Was wäre bei einem solchen Besuch schon herausgekommen? Möglicherweise nichts anderes als eine geheime Beschämung auf der Seite des Jüngeren und kalte Verbitterung auf derjenigen des Alten. Der Kastenjakl hätte wahrscheinlich den Maxl daran erinnert, wie er ihm einstens als erster Mut zugesprochen und geholfen hatte, und um ein Darlehn angehalten. Abgesehen davon, daß im Bäckerhaus kein entbehrlicher Pfennig vorhanden war, im Innersten hätte dem Maxl der Kastenjakl doch leid getan, kurzum, eine solche Zusammenkunft wäre höchst peinlich verlaufen. Und bei allem, was Gutes in ihm war, im Grunde genommen stand es doch mit dem Maxl so: ein Mensch, der nach langem, hartem Kampf eine Existenz errungen hat, die noch keineswegs auf festem Grund steht, schätzt Mitleid und Edelmut anderen gegenüber nicht allzu sehr. Er findet nur Ungünstiges an diesen Eigenschaften und überläßt sie gerne jenen Leuten, denen es leicht fällt, damit etwas auszurichten. Dessenungeachtet grübelte der Maxl doch öfter darüber nach, wie er, wenn sein bedrängter Oheim daherkäme, diesem mit der wirksamsten Schicklichkeit begreiflich machen könnte, daß er beim besten Willen nicht imstande war, ihm zu helfen.
Der Kastenjakl aber ließ seinen Neffen nur manchmal durch die Stasl, die täglich beim Brotaustragen auf seinen Bau kam, flüchtig grüßen. War der alte Mann ausnahmsweise einmal gut gelaunt, dann sagte er: »Und sagst dem Maxl, ich übertrumpf’ ihn doch noch, den windigen Semmelpatzer!« Grinsend tappte er weiter.
An Sonntagen oder auch nach Feierabend kam hin und wieder der Zukünftige der Stasl, der böhmische Maurer Voshank, ins Berger Bäckerhaus. Niemand mochte ihn sonderlich. Der muskulöse, finster aussehende Mensch mit seinem wirren, dichten rothaarigen Schopf und Bart nahm nicht für sich ein. Der Maxl begegnete ihm anfänglich verschlossen, fast feindselig. Allein es stellte sich allmählich heraus, daß der wortkarge Böhme hilfsbereit, sehr sparsam und bescheiden war und allem Anschein nach nichts anderes wünschte, als mit dem Maxl gut auseinanderzukommen. Er wollte die Stasl heiraten, hoffte, mit dem, was sie mitbekam, und dem Seinigen, das er erspart hatte, bald nach Amerika reisen zu können und es dort zu etwas zu bringen. Bald merkte der Maxl, daß die Stasl den biederen Mann völlig beherrschte und nicht wenig aufhetzte. War der Voshank allein, so ließ sich friedlich mit ihm reden; saß die Stasl neben ihm und bedrängte ihren Bruder gereizt, er möge doch endlich die dreihundert Gulden flüssig machen, die ihr nach dem gerichtlich festgesetzten Übergabevertrag zustünden, dann schnitt der Voshank eine geradezu furchterregende Miene, die sich kaum entziffern ließ. Sie mochte gefährlich sein, sie konnte aber auch dumpfe Verlegenheit ausdrücken.
Der Maxl rechnete genau und handelte behutsam. Die Stasl war ungemein brauchbar, konnte die Kunden behandeln und war bei ihnen beliebt. Sie schnell zu verlieren, bedeutete keinen geringen Schaden für das Geschäft. Doch es war nur schwer mit ihr auszukommen, sie war
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