Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Prüfungen bestanden hatten, konnten sich überall niederlassen. Der Tüchtigkeit wurde der weiteste Spielraum gegeben. Der Kanzler brauchte widerspruchslose, regsame Bürger, die sein Entgegenkommen zu schätzen wußten. Das wachsende, nach Weltgeltung gierende, junge Reich verlangte eifervoll nach einem zahlreichen, geruhigen, fleißigen Gewerbestand, der sich durch den freien Konkurrenzkampf gegenseitig anspornte, der den Bedürfnissen des allseits zunehmenden Wohlstandes entsprach und stets seinen sicheren Tribut für den gesteigerten Staatsaufwand zu leisten imstande war.
Nach dem Tod des kinderlos gebliebenen Bürgermeisters und Posthalters Jakob Fink erwarb ein reiches Metzger-Ehepaar aus der Starnberger Gegend die ziemlich vernachlässigte, überschuldete Gastwirtschaft in Aufkirchen. Die beiden Leute waren sehr tüchtig und umsichtig. Ihr Bier war gepflegt, und die Wirtin kochte ausgezeichnet. Durch ihr geselliges, friedliches Wesen verstanden es die Klostermaiers – wie die Eheleute hießen –, sich sehr schnell einen guten Ruf zu verschaffen, und wurden in der Folgezeit ungemein beliebt. Wirtschaft und Metzgerei nahmen einen noch nie erlebten Aufschwung.
Am Ausgang von Berg, in einem Gütlerhaus an der Aufkirchner Straße, fing ein gebürtiger Schwabe namens Joseph Leibfinger, der bis jetzt in der königlichen Hofstallung gedient hatte, eine kleine Huf-und Wagenschmiede an, und bald darauf gab es auch im Pfarrdorf einen solchen Schmied. Daß er Protestant war, wußte zunächst niemand, und es fragte auch kein Mensch danach. Da er bar bezahlte, verkaufte ihm der Klostermaier, der keinen Wert auf die Ökonomie legte, gern ein Wiesenviereck, auf welches der Fremde ein nettes, einstöckiges Wohnhaus mit angrenzender Werkstatt bauen ließ. Die zwei Schmiede hatten ihr gutes Auskommen, denn die Bauern, die bisher ihre Pferde und Wagenräder im abgelegenen Farchach beschlagen lassen mußten, waren froh, daß solche Handwerker nun in nächster Nähe waren. Gegen den Willen ihrer Eltern heiratete einige Zeit später die zweitälteste Tochter des Müllers März einen nicht unvermögenden, frommen Schreiner aus Wolfratshausen, der das leerstehende Wäscherhäusl in Berg, gegenüber vom Leibfinger, erwarb, es baulich instand setzte und eine Schreinerei und Möbeltischlerei eröffnete.
Mit wachsamem Interesse verfolgte der Bäcker-Maxl all diese Veränderungen. Jedesmal nach dem sonntäglichen Hochamt betrachtete er mit abwägender Neugier die Leute, welche beim einzigen Krämer der ganzen Gegend, beim Glaser Hauner in Aufkirchen, in den winzigen Laden traten. Der Glaser befaßte sich ausschließlich mit seinem eigenen Beruf und ließ das Geschäft von seiner langsamen, ungewandten Frau betreiben. Das Notwendigste bekam man beim Hauner oft nicht, aber die Glaserin kümmerte sich nicht, wenn die Kunden sich darüber beklagten. Geweihte Kerzen und Wachsstöcke, Weihrauch und Amulette, Rosenkränze und Gebetbücher hatte sie zu jeder Zeit. Dafür sorgte der jeweilige Pfarrer, denn das Haunerhaus war früher einmal Pfarreigentum gewesen, die ehemalige Krämerei-Gerechtsame stammte noch von den Augustinern, welche im vorigen Jahrhundert in dem umfänglichen Kloster, das an die Kirche grenzte, gesessen hatten. Nun waren in diesem Kloster die unbeschuhten Karmeliterinnen untergebracht, die fast nie ein Mensch zu sehen bekam. Nur gegen die schriftliche Zusicherung, daß jeder nachfolgende Besitzer des Haunerhauses in der Hauptsache die oben genannten frommen Dinge verkaufte, hatte das Pfarramt das Anwesen veräußert. Faden, Wolle und Garn, Näh- und Stricknadeln, Rauch- und Schnupftabak, Salz oder gar Zucker waren beim Hauner selten zu haben. Es läßt sich also leicht erraten, was der Maxl dachte, wenn er den schäbigen Krämerladen aufs Korn nahm. Indessen zu allem gehörte anfänglich Geld, und so weit war er noch nicht. Nur nichts überstürzen, wird er viele Male erwogen haben, doch er wurde immer unruhiger. Wenn ihm nur niemand zuvorkam! Er ängstigte sich, und er überlegte hin und her. Mit keinem Menschen sprach er über seine verschwiegenen Pläne. Erst als der Irlinger wieder einmal kam, unterhielt er sich lange mit ihm. Sie saßen allein in der Stube.
»Ja, Herrgott, Maxl! Ich versteh’ dich nicht!« sagte der Mehlreisende, »jetzt, wo du eine so schöne und dauernde Lieferung an den Hof hast! Da kann doch eine Krämerei nicht mehr fehlgehen!« Der magere, lebhafte Mensch mit den graumelierten
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