Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Stichelhaaren schüttelte den Kopf. Er erbot sich, dem Maxl einmal einen Reisevertreter mehrerer Münchner Großfirmen in Kolonialwaren zu schicken.
»Jetzt bist du mir doch nichts mehr schuldig! Die Bank hat endlich Vertrauen und kann dir nichts mehr anhaben, die Mehlrechnungen läßt du nicht mehr anstehen, und jeden Tag geht mehr Geschäft bei dir! Warum besinnst du dich eigentlich noch?« redete er weiter, doch der Maxl blieb unschlüssig. Er kratzte sich an der Schläfe und raunte ihm zu: »Ich muß erst mit meinen Geschwistern auseinander sein! Je größer ich jetzt mein Geschäft mache, um so mehr verlangen sie. Verstehst du mich denn nicht! Das ist’s doch!«
»Jaso! Hm! … Jaja, das ist ja auch wieder richtig!« meinte der Irlinger begreifend. – Zweifellos, viel hatte der Maxl seither zuwege gebracht: dem Kastenjakl und dem Irlinger die Schulden samt Zinsen zurückbezahlt und, nachdem sein Bruder Lorenz darauf eingegangen war, die väterliche Werkstatt zu einem Stall umgebaut. Schnitzbank und Werkzeug waren in der Holzhütte hinten im Hof untergebracht und gehörten dem Bruder. Vorläufig aber war der Stall leer. Nur etliche Hühner gackerten darin. Am notwendigsten erschien dem Maxl ein Pferd und ein leichter Brotwagen. Dann konnte die Stasl noch einmal so schnell die Gegend abfahren und brauchte nicht, wie es jetzt schon manchmal vorkam, oft zweimal am Tag mit dem schweren Korb stundenweite Wege zu machen.
Der Maxl ging, nachdem der Irlinger weg war, noch lange in der Stube hin und her. Sein Hirn arbeitete. Das Herz drängte. Heiß wurde ihm. Offensichtlich beschäftigten ihn alle erschöpfbaren Möglichkeiten. Zum Schluß aber mußte er sich doch wieder gleichsam besänftigend gestehen: »Nur nichts überstürzen! … Vorsicht! Vorsicht!« Der Kastenjakl war ein warnendes Beispiel. Er hatte sich, wie sich nun immer mehr zeigte, bedrohlich verspekuliert. Die Leute spotteten über seinen »ewigen Schloßbau« und sahen schadenfroh zu, wie die Schwierigkeiten dem alten, eigensinnigen Mann über den Kopf wuchsen. Immer und immer wieder – so, als sei er darauf versessen, etwas noch nie Dagewesenes zu bauen – hatte er um die Veränderung des Grundplanes eingegeben und alles geopfert: sein Bargeld und den Kredit, seine besseren Einsichten, seine Ruhe und Gesundheit. Die Bauleute schüttelten den Kopf über ihn. Über drei Jahre – oft mit wochenlangen Unterbrechungen – werkelten sie an dem werdenden Gebäude. Die Außenmauern standen, plötzlich mußten neue Gerüste gesetzt werden, um an jeder Ecke einen Turm anzubauen. Die Innenräume hatten ihre vermeintliche Einteilung, auf einmal kam der Kastenjakl und ließ von neuem Wände niederreißen. Es war nicht zu enträtseln, wie zum Schluß alles aussehen sollte, ja, jeder Mensch zweifelte daran, daß die »Villa« überhaupt jemals fertig werden würde. Der Bauherr wurde immer verbissener. Er schimpfte herum. Er stritt mit den Maurern und Handwerkern. Er jagte den einen oder anderen fort. Fahrig und grob war er, verbat sich jeden gutgemeinten Rat und duldete keinen Widerspruch. Er war erschreckend abgemagert und sah gänzlich verwahrlost aus. Die wenigen Schläfenhaare, die seine gewölbte Glatze umsäumten, hingen wirr und schlaff über die Ohren. Der zerzauste Bart überwucherte seinen breiten, zahnlosen, zusammengekniffenen, schmallippigen Mund. Unzählige Falten hatte sein eingefallenes, gedrängtes, boshaftes Gnomengesicht, und eine ständige Erregung gewitterte über all diese Einbuchtungen und Erhebungen. Steif nach vorn gebeugt, verzogen und eingeschrumpft war seine kleine Gestalt. Die eckigen Schulterknochen standen scharf in die Höhe, und die langen, dürren Arme hingen kraftlos herab. Die Gicht saß in seinen Gliedern. In den unruhigen, winzigen Augen glomm eine giftige Verwegenheit. Unausgesetzt lief oder stieg der seltsame Mensch auf dem Bau herum, nicht eine Sekunde stand er still, und wenn er nichts zu tun fand, schnupfte er hastig, verschwenderisch und fortwährend, als versuche er sich dadurch zu kräftigen oder zu betäuben. Dann grinste er zuweilen abwesend und häßlich, wobei seine wenigen schwarz gewordenen, verfaulten Zahnstumpen sichtbar wurden, und schließlich brummte er ganz in sich versunken: »Jaja! Jaja, nur abwarten! Der Kastenjakl zeigt’s euch schon noch!« Das klang, als sage er es zu einem tief gehaßten, unsichtbaren Feind.
Nur um immer wieder zu Geld zu kommen, hatte er nach und nach alle seine Äcker
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