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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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hinzu: »Es war nicht richtig von dir, ihm zu sagen, dass er Pam nicht aufgeben muss. Sarah hatte völlig recht, das nicht zu akzeptieren. Ich würde auch keinen Mann heiraten wollen, der ständig mit seiner Exfrau redet.«
    »Musst du ja auch nicht, oder?«
    »Warum bist du zurzeit immer so schlecht gelaunt, Jimmy?« Helen klopfte ein Kopfkissen auf. »Ana hat offenbar mal wieder ihre schlampige Phase.«
    Jim ging an ihr vorbei in sein Arbeitszimmer. »Mir steht meine Arbeit einfach bis hier.«
    Sie folgte ihm. »Hör mal, Jim. Du musst nicht in dieser Kanzlei bleiben. Wir haben genug Geld. Auch wenn es in den Nachrichten ja klingt, als würde das Land direkten Wegs in den Abgrund steuern.«
    »Wir haben drei Kinder im Studium, Helen. Und vielleicht wollen sie hinterher ja noch weitermachen.«
    »Wir haben das Geld doch.«
    » Du hast das Geld. Und hast die Hand draufgehalten, von unserem ersten Tag an – nicht, dass ich dir das vorwerfe. Nur sag nicht, wir haben das Geld. Wobei wir es dank meiner Einkünfte ja sogar haben.«
    »Herrgott noch mal, Jim. Das ist wichtig. Wenn du deine jetzige Arbeit wirklich so wenig magst … «
    Er drehte sich zu ihr um. »Ich mag sie wirklich so wenig, stell dir vor. Wie kann dich das überraschen, Helen? Ich hab’s dir oft genug gesagt. Ein Anwalt im schnieken Anzug, der einen schnieken Mandanten trifft. Ein Pharmakonzern hat seine Kapseln mit irgendwelcher Giftscheiße gefüllt und braucht jetzt den großen Jim Burgess. Der so groß auch nicht mehr ist. Egal, man vergleicht sich ja eh. Trotzdem steh ich als Anwalt einer Firma da, die Giftpillen an – an Leute in Shirley Falls verfüttert, im Zweifel! Verflucht, Helen, das ist doch alles nicht neu! Hörst du mir denn nicht zu?«
    Helens Gesicht fing an zu brennen. »Ist ja gut. In Ordnung. Aber musst du deshalb gleich grob werden?«
    Jim schüttelte den Kopf. »Entschuldige. Ach, Helen. Es tut mir leid. Wirklich.« Er fasste sie an der Schulter, zog sie an sich. Sie spürte seinen Herzschlag, sah durch die Terrassentür ein Eichhörnchen über das Balkongeländer laufen, das Krallentrippeln eilig, vertraut. Warum wirst du gleich so grob? Die Worte rührten an etwas in ihrer Erinnerung. (Monate später kam sie darauf. Debra-ohne, die ihren Mann fragte: Warum hackst du heute so auf mir rum?)

2
    In Shirley Falls ließ der Frühling sich mehr Zeit. Die Nächte waren kalt, aber die Kraft, mit der das Morgenlicht den schwarzen Horizont aufbrach, der feuchte Hauch, der sich sanft auf die Haut legte, schienen schon den Sommer vorwegzunehmen und füllten die Luft mit quälender Verheißung. Auch Abdikarim, der sein Morgengebet noch im Dunkeln verrichtete, spürte die schmerzliche Süße dieser Jahreszeit, wenn er durch die Straßen zu seinem Café ging. Für Susan auf der anderen Seite der Stadt war der Morgen die Zeit, in der sie wieder von Neuem begriff, dass Zachary fort war. Beim Aufwachen musste sie erst die Wellen der Panik glätten, die noch in ihr schlugen, aus Träumen, an die sie keine Erinnerung mehr hatte, aber von denen ihr Nachthemd schweißnass war. An solchen Morgen verließ sie das Haus und fuhr zum Lake Sabbanock, wo sie zwei Meilen laufen konnte, ohne jemandem zu begegnen außer dann und wann einem Eisfischer, der seinen Bretterverschlag mit dem Pick-up bis ans Ufer des noch teilweise zugefrorenen Sees zog, und dann nickte sie und ging weiter, immer versteckt hinter ihrer Sonnenbrille – ging weiter, um diese Panik zu beschwichtigen, die Panik und ein Gefühl, als hätte sie ein so fürchterliches Unrecht begangen, dass sie nur auf diesem matschigen Trampelpfad unbeobachtet sein konnte in ihrer Schande, denn sobald sie unter Leute käme, würden sie mit dem Finger auf sie zeigen, sie als Geächtete erkennen, als Kriminelle. Sie hatte nichts verbrochen, das wusste sie selbst. Der Eisfischer würde nicht die Polizei verständigen, niemand würde im Laden auf sie warten und sagen: »Kommen Sie bitte mit, Mrs. Olson.« Aber ihre Träume sprachen eine andere Sprache. In ihren Träumen bewohnte sie (schon seit langem vermutlich) eine Gefahrenzone, in der kein Bereich ihres Lebens von der Auflösung verschont blieb; verlassen von ihrem Mann, ihrem Sohn, von der Hoffnung selbst, war ihr Platz fortan im Land der unsagbar Einsamen, deren Anblick die Gesellschaft nicht duldete. Die beiden Wunder – dass ihr Sohn lebte und dass die Bundesanwaltschaft ihre Anklage hatte fallenlassen – wurden durch die nachwirkende Traurigkeit

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