Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Essen nach oben. Diesmal blieb Bob in der Küche, wo er Wein aus einem Kaffeebecher trank und Tiefkühlpizza aus der Mikrowelle aß. Er hatte vergessen gehabt, wie früh manche Leute in Maine zu Abend aßen; es war erst halb sechs. Danach sahen Bob und Susan schweigend fern; Susan behielt die Fernbedienung in der Hand und schaltete um, sobald irgendwo Nachrichten kamen. Das Telefon klingelte nicht. Um acht ging Susan ins Bett. Bob blieb ein Weilchen auf der Veranda und rauchte, dann kehrte er nach drinnen zurück und trank die zweite Flasche Wein leer. Er fühlte sich nicht schläfrig. Er nahm eine Schlaftablette, dann noch eine. Wieder legte er sich im Mantel hin, und wieder schlief er kaum.
Das Schlagen von Schranktüren weckte ihn. Licht stach unter den Jalousien hervor. Er fühlte sich noch halb betäubt, und durch sein pelziges Elend zuckte der Gedanke, dass seine Schwester in ihrer Wut gestern auffallend nach ihrer Mutter geklungen hatte, deren Zorn sich, als die Kinder klein waren, ebenfalls in lauten Ausbrüchen entladen konnte (nie gegen Bob gerichtet freilich, sondern gegen den Hund oder ein Glas Erdnussbutter, das von der Anrichte gefallen und zerbrochen war, noch öfter aber – meistens – gegen Susan, weil sie sich krumm hielt, weil sie ein Hemd nicht glatt genug gebügelt, ihr Zimmer nicht aufgeräumt hatte.)
»Susan … « Seine Zunge war schwer.
Sie steckte den Kopf durch die Tür. »Zach ist schon zur Arbeit gefahren, und ich dusche noch schnell, und dann bin ich auch weg.«
Bob salutierte ironisch, stand auf und nahm seinen Autoschlüssel.
Er fuhr sehr vorsichtig, so als wäre er durch eine schwere Krankheit wochenlang ans Haus gefesselt gewesen. Durch die Windschutzscheibe betrachtet, wirkte die Welt weit weg. Er hielt an einer Tankstelle, zu der ein Mini-Markt gehörte. Kaum trat er über die Schwelle, sprang ihn ein solches Sammelsurium an Waren an – staubige Sonnenbrillen, Batterien, Schlösser mit Schlüsseln, Süßigkeiten – , dass Verwirrung ihn ergriff, Furcht beinahe. Hinter der Kasse stand eine junge Frau mit dunkler Haut und großen dunklen Augen. Sein wattiger Kopf konnte sie nicht recht zuordnen – kam sie aus Indien? Nein, Indien nicht. Mini-Markt-Kassierer in Shirley Falls waren ausnahmslos weiß und so gut wie ausnahmslos übergewichtig; so hatte es sein Hirn zu erwarten gelernt. Hier jedoch schien sich ein winziger Schnappschuss aus New York eingemogelt zu haben, wo die Kassierer die Bandbreite der Bevölkerung widerspiegelten. Aber die dunkeläugige junge Frau musterte Bob abweisend, und er fühlte sich fast schuldig, dass er da war. Wie ein Idiot tappte er durch die Gänge, so befangen durch ihren Argwohn, dass er sich wie ein Ladendieb vorkam, dabei hatte er in seinem ganzen Leben noch nie etwas gestohlen. »Äh, Kaffee?«, sagte er, und sie zeigte darauf. Er ließ einen Styroporbecher volllaufen, fand eine Packung Doughnuts mit Puderzucker, und dann sah er am Boden die gestrige Zeitung, von der ihn sein Neffe angrinste. Bob stöhnte innerlich auf. Als er am Kühlregal vorbeikam, fiel sein Blick auf die Weinflaschen dort, und er blieb stehen, um sich eine unter den Arm zu klemmen; sie klirrte laut gegen die anderen, als er sie herauszog. Er hatte nicht vor, nach seinem Termin mit Charlie Tibbetts noch zu bleiben, aber sollte er aus irgendeinem Grund doch ein en dritten Abend be i Susan festsitzen, fühlte er sich so besser gewappnet. Er stellte die Flasche auf den Ladentisch, zusammen mit seinem Kaffee und den Doughnuts, und fragte nach Zigaretten. Die junge Kassiererin sah ihm nicht ins Gesicht, weder, als sie die Zigaretten vor ihn hinfallen ließ, noch, als sie ihm sagte, wie viel er zu zahlen hatte. Schweigend schob sie ihm eine flache Papiertüte hin, und er verstand, dass er seine Sachen selbst einpacken sollte.
Im Auto saß er einen Moment lang einfach da, den Mund warm vom Kaffee. Von den Doughnuts stäubte ihm Puderzucker auf den Mantel, den er zu weißen Schmierstreifen verrieb. Als er zurücksetzte, den Becher jetzt in seinem Halter neben dem Schaltknüppel, drang ihm ein Geräusch ins Bewusstsein, und ein paar zähe Sekundenbruchteile verstrichen, bevor ihm klarwurde, dass da jemand schrie. Er würgte den Motor ab; der Wagen machte einen Satz.
Sein Kampf mit der Tür schien endlos zu dauern, ehe er schließlich aussteigen konnte.
Eine Frau mit langem rotem Gewand und einem schleierartigen Tuch, das ihren Kopf und den größten Teil des Gesichts
Weitere Kostenlose Bücher