Das Leben Zimmer 18 und du
raus hier. Einfach raus. Und wenn es nur für eine halbe Stunde ist.
Kapitel 8 – Kumpel und Herzchen
Man könnte der Versuchung nachgeben, den Klinikalltag als langweilig zu bezeichnen. Wenn man ehrlich ist, liegt die Antwort jedoch irgendwo zwischen den Zeilen: Dass Langeweile immer im Auge des Betrachters liegt und dass sie – auf ihre Weise - ein Segen ist, wenn sie als Ersatz für Traurigkeit dient.
Trotzdem bin ich weder gelangweilt noch traurig, als ich mich zu einem meiner vielen Spaziergänge aufmache. Vielmehr ist es die innere Unruhe, die mich meine Schritte energischer machen lässt als die Tage und Wochen zuvor.
Ich lasse den Parkplatz hinter mir und mit ihm die Klinik, schleppe mich vorbei an eingeschneiten Autos, die am Straßenrand parken und peile wie gewohnt den Fußgängerweg an, der mich durch das angrenzende Wohngebiet führt.
Während ich die eisige Luft einatme, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl, das so ungenau, so schwammig ist, dass ich es nicht fassen kann – und doch zwingt es mich augenblicklich stehenzubleiben.
Mein Atem bildet kleine weiße Wolken in der Luft.
Eins.
Zwei.
Ich schaue nach rechts zu den aschroten Wohnblöcken, geradeaus auf die Straße, die vom Krankenhaus weg zurück in die Stadt führt und ich starre auf den Asphalt unter meinen Füßen. Der Asphalt des Fußweges, den ich in den letzten Wochen so viele Male gegangen bin. In diesem Moment jedoch wird ein unerklärlicher Drang in mir wach, zum ersten Mal einen anderen Weg einzuschlagen.
Unweigerlich schaue ich nach links. Ein schmaler Weg führt vom Bürgersteig in eine Richtung, die ich auf den ersten Blick nicht ausmachen kann, da sich das Pflaster hinter den Wohnhäusern fortsetzt.
Instinktiv verlasse ich den Fußgängerweg und betrete den schmalen Pfad. Ich weiß nicht, was es ist, das mich diesen Weg nehmen lässt, aber wann immer mich ein unerklärlicher Instinkt wie dieser überkam, bin ich ihm gefolgt. So auch diesmal.
Schon nach wenigen Metern sehe ich, dass der Weg an einem hohen Eisenzaun vorbeiführt. Ein eingezäunter Hof? Unserer?
Nein, ein Hof, den ich bisher nicht kenne. Ich gehe weiter und bleibe schon im nächsten Moment stehen. Nur eine einzige Person steht neben der Tür, die zum Hof führt, in der Hand eine Zigarette.
Er ist es. Er ist es wirklich.
Ein Schauer überkommt mich und von einem Moment auf den nächsten scheint mir der unerklärliche Instinkt, den üblichen Weg zu verlassen und stattdessen diesen zu gehen, wie ein Wink des Schicksals. Sein letzter Tag in der Klinik – und vielleicht unsere letzte Begegnung? Irgendjemand scheint zu wollen, dass wir uns noch einmal sehen.
Ich atme ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Endlich nehme ich meinen Mut zusammen und rufe vom Zaun aus zu ihm herüber.
„Dein letzter Tag heute, was?“
Zugegeben, ich war schon mal origineller.
„Sorry, ich hab nichts verstanden“, ruft er zurück.
Oh je, nun bringt er mich auch noch dazu, meinen einfallslosen Satz zu wiederholen.
„Dein letzter Tag heute“, rufe ich erneut.
„Ja.“ Er kommt ein paar Schritte näher. „Es wird auch Zeit. Ich hab genug von den Leuten hier.“
„Wem sagst du das? Was meinst du, warum ich so oft spazieren gehe? Da drinnen wird man noch verrückter, als man es sowieso schon ist.“
Bastian lacht, während er einen Zug von seiner Zigarette nimmt.
„Ich freue mich schon auf meine drei Wölfe“, sagt er.
„Was hast du denn für Hunde?“, frage ich und merke, dass es mich wirklich interessiert.
„Labrador-Schäferhund-und Hovawart-Schäferhund-Mischlinge.“
„Ich habe auch Sehnsucht nach meinem Hund.“
„Welche Rasse?“
„Deutsch-Kurzhaar. Genau genommen ist es der Hund meines Vaters, aber ich bin sonst jeden Tag mindestens einmal bei ihm. Da ist die Sehnsucht jetzt natürlich groß.“ Ich seufze. „Ich hoffe nur, dass er mich nach meiner Entlassung noch kennt.“
„Klar wird er das. Da mach dir mal keine Gedanken. Hunde vergessen nicht. Er wird dich erkennen, glaub mir. Und er wird sich wie verrückt freuen.“
„Meinst du?“
„Natürlich.“ Er lächelt mitfühlend. „Die Welpen, die meine Hündin vor vier Jahren bekommen hat, erkennen mich noch heute, wenn ich sie mal besuche.“
„Echt?“
„Ja, Hunde merken es sich einfach, wenn sie zu jemandem einen besonderen Draht hatten.“
„Du kannst gut mit Hunden, oder?“
„Kann man so sagen, ja. Tiere und ich, das war schon immer eine Sache für sich.“
„Ich fand so
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