Das Leben Zimmer 18 und du
muss man auch mal zu härteren Mitteln greifen.
VERSTAND: Was ist das denn für ein Lärm?
HERZ: Oh nein, das ist Hanna. Sie reißt gerade wieder mal eine Packung Kekse auf.
VERSTAND: Sie ist ja nicht gerade die Leiseste.
HERZ: Na super, und das bei Nancys leichtem Schlaf. Ich hoffe nur, die Bilder von Bastians Oberkörper waren intensiv genug, um ... Mist, sie wird wach.
VERSTAND: Vielleicht ist es besser so.
HERZ: Klappe! Du hast schon genug angerichtet.
*
Die Keks-Packung. Prima! Wieder mal hat Hanna mich aus dem Schlaf geknuspert.
„Hab ich dich geweckt?“, fragt sie mit unschuldigem Blick, während sie in einem Meer von Kekskrümeln auf dem Bett sitzt.
„Nein, nein“, beruhige ich sie. „Hab nur schlecht geträumt.“
Ich drehe mich zur Seite und starre aus dem Fenster.
Die Wahrheit ist, dass ich ausgezeichnet geträumt habe, auch wenn die Bilder bereits wieder am Verblassen sind. Ich kann mich nicht genau erinnern und doch liegt ein Gefühl in meiner Brust, das nur einen Namen kennt: Bastian.
Aber was habe ich geträumt? Und woher kommt dieses tiefe, vertraute Gefühl?
Langsam setze ich mich aufrecht, während mich ein unbeschreibliches Gefühl der Unruhe überkommt: Sein letzter Tag in der Klinik und ich liege hier sinnlos herum! So sicher ich mir auch war, ihm nicht nachzulaufen, was habe ich schon zu verlieren?
Ich greife nach meinem Handy: kurz nach halb fünf. Bis zum Abendessen ist noch Zeit. Wenigstens für einen Zitronentee. Vielleicht treffe ich ihn ja auf dem Weg zum Sport? Vielleicht hält er ja auch bereits nach mir Ausschau?
Blödsinn!
Trotzdem lässt mir der Gedanke keine Ruhe. Ich öffne den Schrank und beginne, in meiner Geldbörse zu wühlen, doch die Münzen scheinen für meine permanenten Automaten-Besuche fast restlos draufgegangen zu sein.
Ich kippe das Kleingeld auf der Bettdecke aus und beginne zu zählen. Und tatsächlich: 1 Euro, mein letztes Kleingeld. Das reicht gerade mal für einen Becher Tee.
Ich schiebe die Münzen in die Tasche meiner Jogginghose und verschwinde im Bad, um meine Haare zu kämmen.
Mit kritischem Blick beäuge ich mich im Spiegel.
Nein, jetzt ist keine Zeit für übertriebene Eitelkeit. Es ist die letzte Chance. Auch wenn sie nur klein ist.
Als ich die Tür der Station hinter mir ins Schloss fallen lasse und auf den Flur trete, ist weit und breit niemand zu sehen. Weder Bastian noch sonst irgendwer.
Langsam gehe ich auf den Automaten zu und beginne, die Münzen einzuwerfen. Ein Fünfzig-Cent-Stück, zwei Zwanzig-Cent-Stücke und einen Zehner. Ich warte auf den Display-Befehl, ein Getränk auszuwählen, als ich überrascht feststelle, dass nur ein Betrag von fünfzig Cent angezeigt wird.
Unmöglich. Ich weiß genau, dass ich insgesamt einen Euro eingeworfen habe.
Oder habe ich mich getäuscht?
Unruhig krame ich in meiner Hosentasche, doch nirgends ist das fehlende Fünfzig-Cent-Stück zu finden.
Ich schaue erneut aufs Display. Fünfzig Cent. Immer noch.
Ich drehe mich um. Noch immer keine Menschenseele zu sehen.
Seufzend drücke ich schließlich auf den Knopf zur Geldrückgabe, um die fünfzig Cent zu entnehmen.
Ich schaue mich ein letztes Mal um, dann gehe ich zurück auf die Station.
Doch diese simple Tatsache lässt mir keine Ruhe. Wie kann ein Fünfzig-Cent-Stück im Automaten verlorengehen? Einfach so?
Lustlos lasse ich mich auf mein Bett fallen und ziehe die Schublade meines Rollcontainers auf, um darin nach Münzen zu suchen.
Widererwarten werde ich fündig. Ein Zehn-Cent-Stück, zwei Zehn-Cent-Stücke. Langsam beginne ich zu zählen. Und tatsächlich bekomme ich wieder einen Euro zusammen.
Ein neuer Versuch?
Warum nicht!
Ich gebe zu, dass ich an Zeichen glaube und daran, dass nichts ohne Grund geschieht. Der Glaube daran, dass es für uns alle einen Plan gibt, hat sich vor allem in der Zeit gefestigt, als wir gegen die Krankheit meines Bruders und meiner Mutter ankämpften. Ein Glaube, der uns die Kraft gab, das alles durchzustehen. Genau dieser Gedanke geht mir auch durch den Kopf, als ich bei den Schwestern klingele, um die Stationstür öffnen zu lassen und erneut zum Automaten marschiere. Denn gerade als ich anfangen will, die Münzen in den Spalt zu schieben, sehe ich, dass bereits fünfzig Cent als Guthaben angezeigt werden.
Nanu! Die fünfzig Cent von vorhin? Wo kommen die denn plötzlich her?
Unweigerlich schiebe ich die restlichen Münzen in den Schlitz, als ich hinter mir die Tür der anderen Station
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