Das Leben Zimmer 18 und du
toll, was du bei der ersten Depressionsrunde gesagt hast.“
„Was denn?“
„Na, dass du dich mit deinen drei Hunden wohler fühlst als in einem Raum voller Menschen.“
Er lächelt.
„Das geht mir mit Tieren genauso“ fahre ich fort. „Sie sind einfach die besseren Menschen.“
Sein Lächeln scheint in sein Gesicht gemeißelt. Für einen Moment mustert er mich schweigend, ohne einen Laut von sich zu geben.
Frag mich doch endlich nach meiner Nummer! Los, verdammt, frag mich!
Doch er fragt nicht. Er scheint nicht mal darüber nachzudenken, mich zu fragen.
Und wenn ich ihn selbst frage?
Nein, das könnte missverstanden werden. Am Ende denkt er noch, dass ich mehr von ihm will als einen unverbindlichen Kontakt unter Gleichgesinnten. Andererseits ist vielleicht genau das die Wahrheit: Ich will mehr. Nur was will ich? Eine Freundschaft? Jemanden zum Reden, wann immer ich mich missverstanden fühle?
„Sorry, aber mir wird langsam kalt“, sagt er nach einer Weile.
Erst jetzt bemerke ich, dass er nur ein Sweatshirt trägt.
„Ja klar“, antworte ich leicht verunsichert. „Sollst dich ja nicht erkälten.“
Mit einem letzten Lächeln und einer flüchtigen Handbewegung, die einem Winken ähnelt, wendet er sich von mir ab und verlässt den Hof in Richtung Station.
Ich setze meinen Spaziergang fort, als hätte ich es furchtbar eilig, doch die Wahrheit ist, dass ich mir nicht die Blöße geben will, ihm hinterherzuschauen.
Was für ein alberner Gedanke, mit ihm in Kontakt bleiben zu wollen. Er hat sein Leben, ich habe meins. Wenn ihm wichtig wäre, mich wiederzusehen, hätte er spätestens die heutige Chance genutzt. Und überhaupt: von wegen besonderer Draht und Zauber, der zwischen uns liegt. Schicksal. Ha! Vermutlich habe ich einfach nur die falschen Pillen geschluckt.
Er ist ein Fremder, nichts weiter. Und ich hatte einfach nur Langeweile.
Richtig?
Richtig!
*
HERZ: Diese Augen. Diese eisblauen Augen.
VERSTAND: Herr Gott, das Mädel schläft. Kannst du sie denn nicht mal im Schlaf mit deinen albernen Schwärmereien in Ruhe lassen?
HERZ: Sei du lieber still, Kumpel. Du hast sie doch schließlich erst in diese Lage gebracht!
VERSTAND: In was für eine Lage? Nun bring hier mal nichts durcheinander, Herzchen. Dass sie sich in einen 50-jährigen verknallt hat, ist allein auf deinen Mist gewachsen.
HERZ: Seelenverwandtschaft kennt kein Alter. Außerdem habe ich nicht davon gesprochen.
VERSTAND: Ach nein? Wovon denn dann?
HERZ: Von dieser beschissenen Krankheit natürlich. Wem hat sie denn die krankhaften Grübeleien zu verdanken? Mir ganz sicher nicht.
VERSTAND: Schuldzuweisungen helfen uns jetzt auch nicht weiter. Lass uns lieber überlegen, wie wir sie wieder gesund kriegen.
HERZ: Im Gegensatz zu dir arbeite ich bereits mit Hochdruck daran.
VERSTAND: Moment mal, was machst du da?
HERZ: Ich sorge dafür, dass sie wieder gesund wird, das siehst du doch.
VERSTAND: Mit so einem Traum?
HERZ: Lass ihr doch auch mal ein bisschen Spaß!
VERSTAND: Spaß hin oder her, ich wüsste nicht, wie sie derartige Intimitäten zur Ruhe bringen sollen. Außerdem ist es nur ein Traum, was sie nach dem Aufwachen umso mehr verwirren wird.
HERZ: Noch ist es ein Traum. Aber was nicht ist ...
VERSTAND: Um Himmelswillen, der Mann ist 50!
HERZ: Du wiederholst dich. Aber was will man von einem Spielverderber auch anderes erwarten.
VERSTAND: Ich bin kein Spielverderber, ich behalte nur den Überblick.
HERZ: Den Überblick? So so.
VERSTAND: Einer muss es ja tun. Was dabei herauskommt, wenn du das Kommando übernimmst, haben wir ja gesehen. Du setzt ihr Flöhe in den Kopf, die sie jetzt absolut nicht gebrauchen kann. Sie ist verheiratet, Herzchen. VERHEIRATET!
HERZ: Manche Entscheidungen stellen sich hin und wieder eben als falsch heraus. Sie war siebzehn, als sie sich in David verliebte. Fast noch ein Kind.
VERSTAND: Eine Entscheidung, für die ebenfalls du verantwortlich warst, wenn ich dich daran erinnern darf.
HERZ: Das weiß ich selbst, du Besserwisser. Damals war es ja auch die richtige Entscheidung. Aber jetzt ...
VERSTAND: Jetzt was?
HERZ: Jetzt haben sich die Dinge eben geändert. Sie hat sich geändert. Und sie hat es verdient, endlich jemanden zu finden, der sie so liebt, wie sie ist. Jemand, bei dem sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben frei entfalten kann.
VERSTAND: Jemand, der sie liebt? Woher willst du das wissen? Er kennt sie doch überhaupt nicht.
HERZ: Ich rede ja auch nicht von jetzt,
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