Das Leben Zimmer 18 und du
surren höre.
Mehrere Stimmen. Männerstimmen.
Irgendetwas hält mich davon ab, mich umzudrehen.
Ich wähle die Taste für den Zitronentee und umklammere den Becher bereits, bevor er vollständig gefüllt ist.
Langsam ziehe ich ihn aus der Halterung, als ich hinter mir eine vertraute Stimme höre.
„Kaffee!“, ruft er mir zu. „Nicht zu viel.“
Ich drehe mich um und sehe, wie er mit zwei anderen Männern zur Ausgangstür geht, auf dem Kopf eine hellgraue Wintermütze. Lächelnd dreht er sich zu mir um, als er schon fast am Ausgang ist.
Kaffee nicht zu viel? Eine etwas merkwürdige Reihenfolge von Worten. Eine Reihenfolge, die eher zu mir und meiner Nervosität passen würde.
„Nein“, antworte ich. „Zitronentee.“
Noch immer lächelt er. Vertraut und so voller Zuversicht. Ein Lächeln, das mir ein so warmes Gefühl gibt, dass ich im selben Moment traurig werde.
Unser letzter Blick? Die letzte Begegnung?
Bevor ich mir selbst die Frage stellen kann, ist er auch schon draußen.
Weg. Einfach weg.
Ich schaue auf den Zitronentee in meinen Händen. War das wirklich schon alles?
Wäre die Münze nicht im Automaten stecken geblieben, hätten wir uns nicht mehr gesehen, das ist mir klar. Aber wozu das Ganze? Damit mir sein letztes Lächeln den Abschied noch schwerer macht?
Wieder schiebe ich mich durch die Stationstür über den Zwischenflur zum Schwesternstützpunkt. Gerade als sie mich wieder hineinlassen wollen, überkommt mich ein spontaner Gedanke:
Warum soll ich darüber nachdenken, ob es peinlich ist? Oder meine Zeit damit vergeuden, mich zu fragen, was sich gehört und was nicht? Ich will seine Telefonnummer. Und wann, wenn nicht heute? Scheißegal, ob es offensichtlich ist, dass ich auf ihn warte – der Zweck heiligt die Mittel. Oder?
„Ich will doch noch nicht rein“, sage ich zur Schwester. „Ich muss noch einmal raus. Hab was vergessen.“
„Jetzt aber nicht mehr, Frau Salchow“, antwortet die korpulente Schwester mit dem strengen Blick. „Es gibt in ein paar Minuten Abendessen.“
„Aber es dauert nicht lang“, lüge ich. „Ich beeile mich. Wirklich.“
„Kann das nicht bis morgen warten?“ Ihre Frage ist mehr eine Feststellung.
„Na gut, dann eben nach dem Abendessen“, lenke ich ein.
„Tut mir leid, aber nach dem Abendessen machen wir die Tür gar nicht mehr auf. Dann können Sie nur noch auf den Innenhof.“
„Den Innenhof?“
„Ja.“
Surrend öffnet sich die schwere Tür. Mit unnachgiebigem Augenaufschlag gibt sie mir zu verstehen, dass sie keinen weiteren Widerspruch duldet.
Wehmütig werfe ich einen letzten Blick über den langen Flur zum Automaten herüber. War es das? War es das wirklich?
Das Räuspern der Schwester reißt mich aus den Gedanken.
Missmutig durchquere ich schließlich die Tür, nur um sie danach wie eine schwere Mauer, die eine Welt von der anderen trennt, hinter mir zufallen zu hören.
Ja, das war es. Das war es wirklich.
Kapitel 9 – Aller Anfang ist schwer
„Wir sind sehr zufrieden mit Ihnen, Frau Salchow.“ Die Ärztin mit der monotonen Stimme mustert mich zuversichtlich. „Deshalb können wir Sie nun denke ich ruhigen Gewissens in die Gruppe B wechseln lassen. Es ist gerade erst ein Bett frei geworden drüben.“
„Gruppe B?“, wiederhole ich ungläubig. Derartige Neuigkeiten habe ich der morgendlichen Visite gar nicht zugetraut.
„Ja.“ Die Ärztin nickt. „So oft, wie Sie in den letzten Tagen bei den Schwestern geklingelt haben, um sich die Tür öffnen zu lassen, könnten wir allein für Sie jemanden einstellen, der nur für das Öffnen und Schließen der Station zuständig ist.“
„Verstehe.“ Ich schlage die Beine auf dem Bett übereinander, während sich die Erinnerung an meine erste Erfahrung mit Gruppe B in mein Gedächtnis schiebt.
„Aber das ist doch wohl hoffentlich nicht der einzige Grund, warum ich rüber soll?“, fahre ich nach einem kurzen Grübeln fort.
„Natürlich nicht. Wie gesagt, wir sind sehr zufrieden mit Ihnen und ich denke, diesmal sind Sie wirklich soweit.“
Ich schweige.
Angst überkommt mich. Der erste Tag in der Klinik ohne Bastian und nun auch noch ein Umzug in ein anderes Zimmer, auf eine Station mit wildfremden Menschen?
„Sie müssen das positiv sehen“, erklärt die Ärztin in ruhigem Ton, als sie meine Unsicherheit bemerkt. „In die Gruppe B kommen nur die Patienten, die sich so positiv entwickelt haben, dass wir Ihnen diesen Schritt zutrauen. Schließlich ist es die
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