Das Leben Zimmer 18 und du
dass ich mich nicht mehr daran erinnere, ob sie sich im selben Raum befand oder bereits auf den Flur zurückgekehrt war.
Tränen erstickten meine Stimme, die keine Worte fand.
Wie unwirklich. Wie absurd.
Nein. Nicht er. So etwas passierte woanders, aber nicht hier. Nicht ihm. Keinem Menschen mit so viel Leben in seinen Venen. Doch die Wahrheit lag mit geschlossenen Augen vor mir und meißelte sich ungeschönt in meinen Verstand.
Nein.
Nicht er. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so. Nicht …
Schweißgebadet fahre ich in die Höhe. Der Schmerz, die Bilder, zum Greifen nah.
Ich atme.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Das Laternenlicht am Rande der Jalousien färbt das Schwarz des Raumes in dunkles Grau, während sich mein Puls langsam normalisiert.
Ich schaue zu Lana herüber, die sich am anderen Ende des Zimmers in vertrautem Schnarchen verliert.
Langsam lasse ich mich wieder zurück aufs Kissen fallen und starre an die farblose Decke.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Fast wie von selbst stiehlt sich der Gedanke an den Abend und das Telefonat mit Bastian zurück in mein Bewusstsein.
Wie viel Kraft sich daraus ziehen lässt, wie viel Licht, das selbst die dunkelste Ecke des Raumes zu erhellen scheint. Die Bilder des Traums werden mit jedem Atemzug blasser.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Und plötzlich ist allein die Gewissheit, mit jemandem reden zu können, der dasselbe durchgemacht hat, Trost genug, um zurück in den Schlaf zu finden.
*
„Du bist stark“ flüstere ich mir selbst zu. „Immer daran denken. Du bist stark. Stark genug.“
Für einen Moment scheint dieses Mantra ausreichend, um mich selbst zu beruhigen. Ausreichend, um Zeilen zu lesen, die bisher zu schmerzlich waren. Zeilen, die nach und nach zum Trost werden. Mamas Zeilen.
Hier auf meinem Bett. Hier in meiner eigenen kleinen Welt.
Ich senke den Blick zum Netbook auf meinen ausgestreckten Beinen.
Montag, 2. August 2010
Martin hat die Operation gut überstanden. Tumore zum größten Teil entfernt. Eine Geschwulst drückte auf die Nerven und hat die Lähmungserscheinungen verursacht. Entnommenes Gewebe wurde zur histologischen Diagnose in das Institut nach Schwerin geschickt.
Dienstag, 3. August 2010
Er wurde von der Intensivstation auf die normale Station verlegt. Mein Besuch bei ihm: Er gefiel mir besser. Natürlich war er schlapp, angeschlagen, gereizt, hatte mächtige Kopfschmerzen, einen Blasenkatheter. Aber seine Sprache hatte sich fast normalisiert. Das gab mir Hoffnung. Die Lähmungen waren noch da, aber vielleicht bekommen sie es mit der entsprechenden Therapie wieder hin? Nur nicht die Hoffnung verlieren. Der Befund sollte innerhalb einer Woche eintreffen.
Da wir uns immer abwechselten und nicht alle gleichzeitig im Zimmer waren, nutzte ich die Gelegenheit, mit dem Arzt zu sprechen.
Ich sprach ihn direkt an, wie das entnommene Gewebe optisch auf ihn wirkte. Er druckste zuerst herum und meinte dann: „nicht gut“.
Der nächste Tiefschlag. Nein, noch bestand Hoffnung! So lange es nicht schwarz auf weiß stand, durften wir nicht verzweifeln.
Meine Tochter meinte dann, wir müssten ihn darüber unterrichten. Da wurde ich laut und sagte, dass er momentan überhaupt nicht – und von uns schon gar nicht – über irgendwas unterrichtet wird! Daran wurde sich dann gehalten.
Ich schlucke. Plötzlich ist die Erinnerung wieder allgegenwärtig.
Und ich erinnere mich an alles. Vor allem an die Tage, an denen nur wir wussten, dass Martin an seinem Tumor sterben würde, man es ihm aber selbst noch nicht gesagt hatte.
Sicher war es richtig, ihm in seinem Zustand nicht noch die letzte Hoffnung zu nehmen. Trotzdem erinnere ich mich umso intensiver an das schreckliche Gefühl, mehr über seine Zukunft zu wissen als er selbst.
„Du bist stark genug“, ermahne ich mich erneut. „Und du bist es ihr schuldig, diese Zeilen zu lesen.
Mit einem tiefen Atemzug senke ich den Blick erneut auf den Bildschirm.
Donnerstag, 5. August 2010
Wieder Besuch von der Familie bei ihm. Ich blieb dieses Mal zu Hause, weil ich merkte, dass ihm das zu viel wurde. Er wollte nur, dass seine Freundin bei ihm ist.
Mein Mann musste dann mit einem Schriftstück, welches die Klinik abstempeln sollte, noch einmal zur Ärztin. Und plötzlich hieß es, der Befund sei da.
Tiefschlag von der übelsten Sorte. Aggressivste Tumorform, schnellwachsend und tödlich! Sie entließ meinen Mann mit den Worten: „Machen Sie ihm noch ein schönes Jahr!“.
Na, toll! Grandiose Aussage. Nach
Weitere Kostenlose Bücher