Das Leben Zimmer 18 und du
anfangen soll, alles, was ich weiß, ist, dass ich unbedingt jemanden zum Reden brauche. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber es ging nur deine Mailbox ran. Aber wer weiß, vielleicht ist es besser, wenn ich dir schreibe. Worte lassen sich leichter finden und sortieren, wenn ich sie schweigend verfasse.
Um auf den Anfang meiner Mail zurückzukommen: Ja, ich bin wieder zu Hause. Seit gut einer Woche. Inzwischen kommt es mir jedoch so vor, als wären seit meiner Rückkehr Monate vergangen. So viel ist passiert und so vieles wird noch passieren. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich vor den Dingen, die passieren werden, mehr Angst als vor denen, die schon passiert sind.
Ich rede wirres Zeug, ich weiß und schon jetzt entschuldige ich mich dafür, dass ich in dieser Mail nur von mir erzähle, dabei würde ich natürlich auch ebenso gern wissen, was es bei dir Neues gibt (und ich hoffe, du hältst mich, was das angeht, auch nach wie vor auf dem Laufenden). Aber wenn du meine Zeilen gelesen hast, wirst du wissen, warum es mir im Moment so schwer fällt, von anderen Dingen zu reden, geschweige denn überhaupt an etwas anderes zu denken.
Am besten ich fange ganz von vorne an.
Du erinnerst dich sicher an unser letztes Telefonat und den Mann, von dem ich dir erzählt habe. Bastian. Zu dem Zeitpunkt war ich noch unglücklich darüber, dass er entlassen worden war. Umso euphorischer war ich, als ich ihn schon kurz darauf wiederfand: Im Internet. Seinen Namen hatte ich über Patienten seiner Station herausgefunden und dann einfach alle meine Zweifel über Bord geworfen, um mich bei ihm zu melden. Und siehe da, er hat sich gefreut. So sehr sogar, dass er mich gleich zwei Tage später mit einem seiner Hunde im Krankenhaus besuchte. Das war dann natürlich das Größte für mich und ich war aufgeregt wie ein kleines Kind.
Du kennst mich viel zu gut, Hauke, um nicht zu durchschauen, wie wichtig mir der Kontakt zu ihm schon zu dem Zeitpunkt war. Und ja, ich weiß, vielleicht ist es unangebracht. Aber seitdem ich ihn kenne, merke ich einfach, dass sich mein Zustand von Tag zu Tag, ja sogar stündlich, gebessert hat. Ich kann es nicht beschreiben und ich weiß auch nicht, ob sich die Dinge so leicht erklären lassen, wie ich es gern hätte. Vielleicht ist das der Grund, warum ich es erst gar nicht versuche. Es ist eben, wie es ist. Und ich bin unheimlich dankbar dafür, dass ich diese Dinge – egal, ob ich sie begründen kann oder nicht – mit dir teilen darf. So, wie ich es immer konnte, wann immer mich etwas beschäftigte. Nur diesmal, Hauke, diesmal ist es irgendwie anders. Alles ist anders.
Aber ich überhole mich schon wieder selbst. Eins nach dem anderen.
Wo war ich? Ja genau, der Besuch in der Klinik.
Als Bastian an dem Nachmittag wieder nach Hause fuhr (es ging ihm im Übrigen nicht sehr gut, eine Grippe bahnte sich an), war ich anfangs etwas demotiviert. Ich hatte mich unglaublich über seinen Besuch gefreut, aber als ich ihm abends nochmal schrieb (und das mit nicht gerade wenigen Worten, du kennst mich ja ;-)), meldete er sich erst am nächsten Morgen und auch nur mit zwei kurzen Zeilen. Dementsprechend enttäuscht war ich. Er schrieb mir zwar, dass es ihm nicht so gut ginge, weil eine Grippe im Anmarsch war, aber du kennst mich ja – ich neige dazu, alles immer gleich persönlich zu nehmen, erst recht, wenn es um einen Kontakt geht, der mir binnen kürzester Zeit so wichtig geworden ist. Also nahm ich natürlich an, dass die Grippe nur ein Vorwand war, um möglichst bequem von der Frau wegzukommen, die sich erst als sympathisch, aber dann doch als zu anstrengend herausstellte. Anstrengend einfach deshalb, weil ich bei unserem Treffen ziemlich viel geredet habe.
Schon zu dem Zeitpunkt hätte es mich stutzig machen müssen, dass ein eigentlich Fremder solch ein Gewicht bei der Frage hat, welcher Laune ich mich hingebe. Himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt, alles hing davon ab, ob er sich meldete oder nicht.
Ich nahm mir fest vor, darauf zu warten, dass er (wie versprochen) anruft oder schreibt und mich auf keinen Fall, unter gar keinen Umständen und sowieso absolut NIEMALS vorher zu melden. Und dann? Dann hielt ich es nicht aus und schrieb ihm unter einem Vorwand doch. Und es stimmte wirklich, er war krank, zumindest gab es keinen Grund für mich anzunehmen, dass er mich belog, denn dass er das Chatten mit mir genoss, während er mit dem Laptop im Bett lag, war offensichtlich.
Und plötzlich war ich selig.
Weitere Kostenlose Bücher