Das lebendige Theorem (German Edition)
Professoren. Nun, wer gehört gegenwärtig zu Ihrem Team? Haben Sie gute Leute eingestellt? Ja, ja, alles in Ordnung, es gibt den Soundso, den Soundso und auch noch den Soundso …
Einer der Namen lässt mich aufspringen.
– Wie, Wladimir Scheffer arbeitet hier!!
– Ja, schon eine Ewigkeit. Warum, Cédric, kennst du seine Arbeiten?
– Aber natürlich, ich habe ein Bourbaki-Seminar über sein berühmtes Existenztheorem der paradoxen Lösungen der Euler’schen Gleichung veranstaltet … Ich muss ihn unbedingt treffen!
– Weißt du, wir sehen ihn nicht oft, ich habe schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen. Wir werden nach dem Essen versuchen, ihn für dich ausfindig zu machen.
Joel ist es gelungen, Kontakt mit ihm aufzunehmen, und Scheffer hat uns in Joels Büro besucht.
Ich werde diese Unterhaltung nie vergessen.
Scheffer begann, sich umständlich dafür zu entschuldigen, dass er nicht früher kommen konnte, hat uns von seiner Arbeit erzählt, die darin besteht, gewisse gerichtliche Klagen gegenüber der Universität – die von verdrossenen Studenten eingereicht wurden – im Keim zu ersticken.
Dann haben wir zu zweit in einem kleinen Zimmer vor einer schwarzen Tafel über Mathematik gesprochen.
– Ich habe ein Bourbaki-Seminar zu Ihren Arbeiten veranstaltet, ich habe den Text für Sie ausgedruckt! Er ist zwar auf Französisch, aber vielleicht können Sie ja etwas damit anfangen. Ich erkläre ganz im Detail, wie Ihr Existenztheorem paradoxer Lösungen von Camillo De Lellis und László Székelyhidi verbessert und vereinfacht wurde.
– Ach, das ist sehr interessant, danke.
– Ich wollte wissen, wie Sie auf diese Idee gekommen sind, wie zum Teufel Sie darauf gekommen sind, diese unglaublichen Lösungen zu konstruieren?
– Ich werde es Ihnen erklären, das ist ganz einfach. In meiner Dissertation hatte ich gezeigt, dass es unmögliche Objekte gibt, Dinge, die in unserer Welt nicht vorkommen dürften.
Er zeichnet ein paar Kringel auf die Tafel und eine Art Stern mit vier Zacken. Ich erkenne die Figur wieder.
– Ja, das kenne ich, das ist Tartars Konfiguration T 4 !
Luc Tartar
– Wirklich? Nun gut, vielleicht, ich weiß nicht, jedenfalls hatte ich das gemacht, um unmögliche Lösungen für bestimmte elliptische Gleichungen zu konstruieren. Und ich habe gesehen, dass es ein allgemeines Rezept dafür gibt.
Er erklärt das Rezept.
– Ja, das kenne ich auch, das ist die konvexe Integration von Gromow!
– Ach so? Nein, das glaube ich nicht, meine Sache ist viel einfacher, die Konstruktion funktioniert ganz einfach deshalb, weil wir uns in einer konvexen Hülle befinden und man die angenäherte Lösung jedes Mal als konvexe Kombination ausdrücken kann und dann …
In dem, was er mir sagt, erkenne ich alle Bestandteile jener Theorie, die konvexe Integration genannt wird. Dieser Kerl hat ganz alleine alles neu entdeckt, ohne zu wissen, was die anderen gemacht haben? Hat er auf dem Mars gelebt?
– Und was ist mit der Flüssigkeitsmechanik?
– Ach ja! Also eines Tages war ich bei einem Vortrag von Mandelbrot und habe mir gesagt: Ich würde gerne etwas Ähnliches tun; also habe ich angefangen, die Euler’sche Gleichung aus einer fraktalen Perspektive zu studieren, und habe gesehen, dass ich noch einmal dieselbe Art von Dingen wie in meiner Dissertation machen könnte. Aber das war kompliziert.
Ich höre äußerst gespannt zu. Aber nach zwei oder drei allgemeinen Sätzen bricht er plötzlich ab.
– Und jetzt, tut mir leid, muss ich nach Hause, ich benutze die öffentlichen Verkehrsmittel, momentan mit all dem Schnee ist es sehr rutschig, und ich habe kein sehr gutes Gleichgewichtsgefühl, und dann habe ich einen ziemlich langen Weg, und …
Das Ende des Gesprächs geht darum, alle guten Gründe aufzuzählen, warum er sich verabschieden muss. Die mathematische Diskussion hat ungefähr fünf Minuten gedauert, in denen ich nichts gelernt habe. Dabei ist das doch der Mann, der das überraschendste Theorem der ganzen Flüssigkeitsmechanik aufgestellt hat! Ein lebender Beweis dafür, dass man ein überlegener Geist und ein jämmerlicher Kommunikator sein kann.
Wieder zurück bei Joel erzähle ich von meiner Unterhaltung und bedaure, dass sie nur fünf Minuten gedauert hat.
– Weißt du, Cédric, fünf Minuten mit Wlad, das ist fast so lange wie alles, was wir mit ihm in den letzten fünf Jahren besprechen konnten.
Das ist der Augenblick, einen Schlussstrich
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