Das lebendige Theorem (German Edition)
Sein Name ist Nash, und mit 28 Jahren ist er schon weltberühmt wegen seiner Erfindung der Nash-Gleichgewichte und seines Beweises des Einbettungstheorems: Arbeiten, die er an der Universität Princeton und anschließend am Massachusetts Institute of Technology vollbracht hat. In New York entdeckt er gerade neue Kollegen und neue Probleme.
Dasjenige, das Louis Nirenberg ihm unterbreitet, fesselt seine ganze Aufmerksamkeit. Ein Problem, das die besten Experten in Schach hält … ein Gegner auf Augenhöhe vielleicht! Die Stetigkeit der Lösungen der Parabelgleichungen mit diskontinuierlichen Koeffizienten.
1811 hatte der große Fourier die Wärmegleichung aufgestellt, die die Entwicklung der Temperatur in Abhängigkeit von der Position und der Zeit in einem homogenen, sich abkühlenden Festkörper regiert:
Seitdem ist seine Gleichung zu einem der würdigsten Vertreter der Klasse von partiellen Differentialgleichungen geworden, diese Gleichungen, die alle kontinuierlichen Phänomene in unserer Umgebung beschreiben, von den Meeresströmungen bis zur Quantenmechanik.
Selbst wenn man einen Festkörper auf sehr inhomogene Weise erhitzt und ihm zu einem gegebenen Zeitpunkt eine Temperatur aufzwingt, die plötzlich und auf erratische Weise von einer Stelle zur anderen variiert, genügt es, den Festkörper nur für den Bruchteil einer Sekunde abkühlen zu lassen, damit die Temperaturverteilung wieder glatt wird und regelmäßig variiert. Dieses Phänomen, das parabolische Regularisierung genannt wird, ist eines der ersten, die die Studenten in den Kursen über partielle Differentialgleichungen lernen. Die entsprechende mathematische Aussage ist von einer Bedeutung, die weit über das Gebiet der Physik hinausgeht.
Wenn jetzt der Festkörper inhomogen ist und aus verschiedenen Materialien besteht, wird die Leitfähigkeit in jeder Position x größer oder kleiner sein als C(x), d.h. er kühlt sich leichter oder weniger leicht ab. Daher ändert sich die Gleichung:
Gilt die Eigenschaft der Regularisierung in diesem Kontext auch noch?
Im Gegensatz zu Nirenberg ist Nash zwar kein Experte für diese Gleichungen, aber er hat angebissen. Woche um Woche kommt er wieder, um mit Nirenberg zu diskutieren, und stellt ihm Fragen.
Zu Beginn sind seine Fragen naiv, Fragen eines Neulings. Nirenberg fragt sich, ob Nashs Ruf nicht übertrieben ist. Man braucht Mut – oder eine ungewöhnliche Portion Selbstvertrauen –, wenn man schon berühmt ist und bewundert wird, um Anfängerfragen in einem Bereich zu stellen, den man noch nicht beherrscht!, um die kleine Spitze unbeabsichtigt geringschätzender Überraschung zu akzeptieren, die die Antwort zu enthalten droht. Aber um diesen Preis macht man Fortschritte … Und allmählich werden Nashs Fragen präziser, relevanter. Etwas zeichnet sich ab.
Außerdem diskutiert er mit anderen Kollegen, nötigt dem einen Informationen ab, nimmt einen anderen in die Pflicht, legt einem dritten ein Problem vor.
Lennart Carleson, ein hochbegabter schwedischer Analytiker, erzählt ihm von Boltzmann und der Entropie. Carleson ist einer der seltenen Mathematiker, die diesen Gegenstand gut kennen; man muss wissen, dass er der geistige Vollstrecker des Testaments von Torsten Carleman war, des ersten Mathematikers, der die Boltzmann-Gleichung in Angriff genommen hat. Bei seinem Tod hinterließ Carleman ein unvollendetes Manuskript zu dieser Gleichung, und Carleson fiel die Aufgabe zu, es zu ergänzen und zu korrigieren; auf diese Weise hat er den Begriff der Entropie gelernt, und jetzt kann er Nash davon profitieren lassen.
Aber Boltzmann und Fourier, das ist nicht dasselbe; Entropie und Regularität haben nichts miteinander zu tun!
Doch in Nashs Gehirn ging ein Licht auf, ein Gesamtplan zeichnet sich ab. Ohne seine Karten aufzudecken, setzt der junge Mathematiker seine Gespräche fort, wobei er ein Lemma hier und eine Aussage dort sammelt.
John Nash
Und eines Morgens musste er sich wohl darüber klargeworden sein: Durch die Kombination aller Beiträge seiner Kollegen hatte Nash das Theorem bewiesen, so wie ein Kapellmeister jeden Musiker seine Partitur spielen lässt.
Im Zentrum seines Beweises stand die Entropie, die unter seiner Leitung entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung eine ungeheuer wirkungsvolle Rolle spielte. Die Art und Weise, wie Nash Differentialungleichungen einsetzte, indem er bestimmte Größen ins Spiel brachte, die von einer halb mathematischen, halb physikalischen Interpretation
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