Das lebendige Theorem (German Edition)
inspiriert waren, begründete einen neuen Stil, in dessen Tradition auch ich mich stelle.
Kapitel 30
Princeton, 4. Mai 2009
Genau in dem Moment, wo mein Nacken den Teppichboden berührt, breitet sich eine Welle des Wohlgefühls in meinem Körper aus. Sie pflanzt sich vom Kopf zu den Füßen fort. Es ist dreizehn Uhr oder dreizehn Uhr dreißig, ich bin nach dem Mittagessen wieder in meinem Büro. Die richtige Zeit für eine Entspannungspause.
Nicht eine so gewaltsame Entspannung wie die, der die Kollegen der Astrophysik im Gebäude nebenan nachjagen, sondern eine Entspannung, die allerdings ein wenig hart ist, ohne etwas Weiches zwischen dem Boden und mir als nur die dünne Schicht des Teppichbodens meines bescheidenen Büros. Dünn zwar, aber der Nacken nimmt sie wahr. Ich habe mich damit abgefunden und schätze aufrichtig diesen Kontakt, dem alles Weiche fehlt.
Bilder ziehen vor meinen geschlossenen Augen vorbei, immer stärker zirpen Geräusche in meinen Ohren, während der ganze Morgen mir noch einmal durch den Kopf geht.
Heute Morgen haben die Kinder der Littlebrook-Grundschule das Institute for Advanced Study, dessen See, seine herrlich blühenden Bäume, die großartige Büste Albert Einsteins in der alten Bibliothek besichtigt. Schaut Kinder, das Zauberschloss der Wissenschaft! Mit acht Jahren ist es nicht zu früh, um von den großen Wissenschaftlern zu träumen.
Ich habe einen zwanzigminütigen Vortrag für sie vorbereitet, habe ihnen von der Brown’schen Bewegung erzählt, die die Feststellung der Atome ermöglichte, vom berühmten Syrakus-Problem, das so einfach ist, dass ein achtjähriges Kind es verstehen kann, und so komplex, dass auch der beste Mathematiker der Welt sich ihm gegenüber eingestehen würde, hilflos zu sein.
Im großen Saal des Instituts haben sie brav zugehört, mit großen Augen vor den wunderbaren Bildern der Brown’schen Bewegung, die über mein Notebook irrten. In der letzten Reihe hörte ein kleiner Blondschopf mit großen Augen noch aufmerksamer als die anderen zu; er wohnt zwar erst seit vier Monaten hier, aber er hatte keinerlei Mühe, die englische Rede zu verstehen, die sein Papa mit einem starken französischen Akzent hielt.
Und dann der übrige Teil des Morgens, und dann das gute Mittagessen, und dann hat mein Gehirn angefangen, sich zu vernebeln, als der Augenblick kam, um den Zähler wieder auf Null zu stellen, der Augenblick der Blitzpause, den ich Reboot nenne, das Neustarten des Computers. Man löscht den Speicher und beginnt von neuem.
In meinen Ohren brummt es, die Kinder reden und reden, und alles dreht sich im Kreis. Mein angespanntes Gesicht entspannt sich, das Brummen wird intensiver, Satzfragmente fliegen umher, einige davon lauter als andere, Stimmen und Chansons, das Mittagessen kommt wieder, ein vergessener Löffel, eine Begrüßungszeremonie, ein nichtgefrorener See, eine Büste in meiner Bibliothek, 3 n +1, 3 n +2, 3 n +3, der Parkettboden und die Schatten, und du hast ein kleines Kind vergessen und …
Eine unvermittelte kleine Erschütterung in meinen Gliedern, die Schatten verziehen sich, und mein Bewusstsein klart wieder auf.
Ich bin auf der Lauer, ich bleibe noch einige Augenblicke liegen, während ich ein Kribbeln in der Sohle meiner entblößten Füße verspüre.
Meine Füße sind von meinem inneren Radarschirm verschwunden, sie sind so schwer. Es ist unmöglich, sie zu bewegen. Wie beim Skilanglauf, wenn sich ein hartnäckiger Schneeklumpen unter einem Ski angesammelt hat.
Dennoch gibt mir die erste Bewegung meine Füße wie durch Zauberei wieder zurück, ich bin wieder vollständig. Die Pause ist beendet. Sie hat zwar nur zehn Minuten auf der Uhr gedauert, aber jetzt bin ich ein neugeborener Mathematiker.
Cedric reboot (completed)
Ein neuer Cédric beginnt. Ich tauche wieder in die Rechnungen ein und in diesen Artikel über die Landau-Dämpfung, der ein halbes Jahrhundert alt ist und doch so aktuell und den ich aus der Bibliothek geholt habe. Los geht’s, zwei Stunden intensiver Arbeit vor dem Tee.
*
Das Syrakus-Problem oder Collatz-Problem oder 3 n + 1 -Problem ist eines der berühmtesten ungelösten Rätsel aller Zeiten. Hat Paul Erdös nicht selbst erklärt, dass die Mathematik unserer Zeit nicht bereit ist, mit solchen Ungeheuern fertig zu werden?
Geben Sie » 3 n + 1 « in eine Internetsuchmaschine ein, und Sie werden leicht den Faden bis zu der vermaledeiten Vermutung zurückverfolgen, die einfach und einprägsam wie ein
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