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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Christian Wirth den Bewohnern der Dörfer rund um das Schloss, sich einzufinden zum Informationsabend im Alkovener Wirtshaussaal. Stangl und Wirth, ja, diese beiden, die man kennt aus Treblinka und Sobibor und San Sabba, die standen da in unseren Dorfwirtshäusern, breit und mächtig.
    Nichts von dem, was gemunkelt werde, finde statt im Schloss, bellte Stangl. Der seltsame Geruch, den die Leute zu riechen vermeinten, stamme von chemischen Experimenten, streng geheim, es gehe um die Erzeugung eines neuen Motoröls für U-Boote, das deren Motoren geräuschlos machen werde, mehr dürfe er dazu nicht sagen. Und Wirth brüllte die vor ihm Hockenden an: Wer weiterhin erzähle, dass im Schloss Menschen vergast würden, der werde selber durch den Kamin wandern.
    Es war im sogenannten Staatsvertragsjahr, sagte meine Mutter, ein paar Wochen, bevor die Besatzer abgezogen sind. Da sind die Russen in unser Dorf gekommen, das eigentlich in der amerikanischen Zone war, und haben die Leichen ausgegraben.
    Hast du die Leichen gesehen?
    Nein. Die Russen haben keinen auf den Friedhof gelassen. Wir haben über die Mauer geschaut, du kennst den Platz, beim Hufschmied drüben, wo dieser große Stein liegt, über den man ganz leicht auf die Mauer steigen kann. Die Kinder klettern da immer über die Mauer. Wir waren zu weit weg. Sie haben was ausgegraben, und das haben sie in drei Zinksärge getan, die sie mitgehabt haben, und die haben sie auf die Lastwagen geladen, in jeden Wagen einen Sarg, und dann sind sie wieder davongebraust mit großem Karacho. Und haben ihre Toten heimgebracht, wie sie dann abgezogen sind, ein paar Wochen später. Das Einzige, was man bemerkt hat, war ein seltsamer Geruch. Gestank eigentlich, sagte sie, aber vielleicht war es nur Einbildung.
    Die Leichen der drei Russen waren nicht unversehrt, wie jene des Heiligen Mannes eineinhalb Jahrtausende früher. Und sie haben nicht geduftet wie der süßeste Duft auf Erden, sodass die Männer, die Severinus ausgegraben hatten, um ihn heimzubringen, heim ins sonnige Italien, zuerst zurückgeprallt waren, dann aber sich nahe herandrängten an den süß riechenden, wie schlafend daliegenden Körper, worauf dann gleich Wunderheilungen einsetzten bei jedem Gebrechlichen, der nahe genug herankam an die Leiche.
    Was das zu tun habe mit der Eiche, wollte ich meine Mutter fragen, als mein Handy läutete. Trixi war es, keuchend schrie sie mir ins Ohr, dass ich sie holen müsse, und zwar sofort.
    Wo bist du?
    Bitte! Du musst kommen!
    Ja, ich kann vielleicht –
    Sofort!, brüllte sie. Du musst mir helfen. Da ist einer von denen!
    Welcher von denen?
    Einer von den Männern.
    Wo bist du?
    Linz.
    Wo in Linz?
    Sie atmete durch, redete dann um eine Spur weniger aufgeregt. Auf diesem Platz mit dem halben Totenkopf im Kindergesicht, sagte sie. War ein bisschen spazieren in der Stadt. Und da sitzt der, in einem Kaffeehaus, an einem Tisch heraußen auf dem Gehsteig. Ich weiß nicht, ob er mich gesehen hat. Ich habe Angst.
    Ich komme, sagte ich, in einer halben Stunde kann ich da sein. Sie sagte, dass sie sich jetzt versteckt habe, in der Kirche, gleich gegenüber dem Café. Dort solle ich mit dem Wagen vorfahren, sie würde dann gleich kommen. Wir reden das nächste Mal weiter, sagte ich zu meiner Mutter und ging hinunter zum Wagen.

50
    So schirme, Gott, in Freud und Leid, so sangen sie unter Tränen, Du unser Heimatland! Bewahr der Felder Fruchtbarkeit bis hin zum Schwarzmeerstrand! Erhalte Du uns deutsch und rein, send uns ein freundlich Los, bis wir bei unsern Vätern ruhn im heimatlichen Schoß!
    In Bessarabien packten sie all ihr Hab und Gut auf die primitiven Plachenwagen. Sie drehten sich nicht um, als sie unter den Akazien hinauszogen aus dem Dorf. Der Führer daheim im Reich hatte ein schmutziges kleines Geschäft gemacht mit dem schnauzbärtigen Diktator des Bolschewisten-Imperiums. Und darum mussten sie wieder verschwinden aus diesem Land zwischen Dnister und Pruth und Schwarzem Meer, in das sie Zar Alexander der Erste hundertsechsundzwanzig Jahre früher gelockt hatte, um den fruchtbaren Schwarzerdeboden zu bestellen. Tausendfünfhundert Kilometer schleppten sie sich nach Westen, bis sie schließlich landeten im prunkvollen Zisterzienserkloster an der Donau bei Linz, das die Nazis enteignet und zu einem Auffanglager für die volksdeutschen Flüchtlinge gemacht hatten.
    Wo unser Schlafsaal war, da lagerten die Bessaraber, sagte Bodinger und kicherte. Dann erzählte er die

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