Das leere Land
einem zweiten kleinen Querbalken über dem ersten, und darunter ist ein dritter, noch dazu schief angenagelt.
Das russische Kreuz, sagte ich. Der untere Balken ist für die Füße des Gekreuzigten. Und es ist ein Symbol für den Übergang von der Hölle zum Himmel. Der obere Balken soll das Jesus-von-Nazareth-König-der-Juden-Schild sein.
Nach ein paar Minuten, wo die alle Habtacht gestanden sind, plötzlich wieder ein Schreien und Rennen. Und dann haben sie die drei Gräber aufgemacht, auf denen die drei Kreuze gestanden sind. Weißt du, auf unserem Friedhof hat es zehn Jahre lang russische Gräber gegeben. Den Leuten war es nicht recht, den meisten, muss man sagen, aber es hat niemand etwas machen können. Wir waren ja nicht frei. Die haben gegraben, und wir haben geschaut über die Friedhofsmauer.
Ich habe auch einmal zugeschaut, wie sie jemanden ausgegraben haben, sagte ich. Mit der Schule. Oben beim Auweg.
Ach, die Germanenprinzessin, sagte sie.
Beim Setzen eines Strommasts war der Bautrupp auf menschliche Knochen gestoßen, ein kleines Stück außerhalb des Dorfes, an der Weggabelung, wo sich die Straße teilt, eine Abzweigung führt in die Au, die andere nach Hartheim. Genau genommen waren es schon damals keine Straßen mehr, niemand benutzte sie noch, die alten Karrenwege aus einer Zeit, als die Bauern noch mit Ochsenwagen ihr Heu einbrachten; abgesehen von einer schmalen, von Fußgehern ausgetretenen Spur in der Mitte waren die Schotterfahrbahnen weitestgehend von Unkraut und Gras überwuchert.
Seltsam unruhig war es im Dorf geworden, als sich die Kunde vom Skelettfund verbreitet hatte. Weil die Stelle nicht weit entfernt ist von der Teufelseiche, munkelten wir Kinder, fürchten sich alle. Es ist eine Hexengegend.
Zwei Tage später rückte eine Mannschaft vom Landesmuseum in Linz an und begann an dieser Stelle zu graben, wieder zwei Tage später waren sie auf ein vollständig erhaltenes Skelett gestoßen, das am folgenden Tag geborgen werden sollte. Die Lehrerin zog mit den zwei höheren der vier Volksschulklassen hinaus zur Weggabelung. Nur aus großer Entfernung durften wir zusehen. Man sah genau genommen nichts. Manchmal, wenn die Grabenden etwas in mitgebrachte Kisten legten, stießen wir uns an. Menschenbeine, flüsterten wir, es schauderte uns am meisten, als einer sagte, er habe genau gesehen, dass dieser Brocken jetzt ein Totenschädel gewesen sei.
Nach ein paar Wochen erzählte die Lehrerin im Unterricht, dass die ersten Untersuchungen der Museumsexperten ergeben hätten, dass es sich um das Grab einer jungen Frau handle, aus dem sechsten Jahrhundert nach Christi Geburt. Also aus jener Zeit, als wir Germanen diese schöne und fruchtbare Landschaft zu unserer Heimat gemacht hatten, sagte die Lehrerin. Wahrscheinlich sei dort, bei der Weggabelung, die erste Siedlung gelegen. Hier habe Sconher seinen Speer in die Erde gestoßen und habe gerufen, dies ist der Ing des Sconher, der Ort, an dem die Menschen des Sconher leben. Und weil aus den spärlichen, aber wertvollen Grabbeigaben zu schließen sei, dass es sich um eine hochgestellte Person gehandelt haben musste, die da im Grab gelegen war, müsse man davon ausgehen, dass es eine Prinzessin war. Um die fürstliche Gemahlin des Sconher gewesen zu sein, war sie zu jung, wahrscheinlich war sie eine seiner Töchter, also Prinzessin. Unsere Germanenprinzessin.
Unter den strengen Blicken der Sowjetoffiziere haben sie geschaufelt und geschaufelt, sagte meine Mutter. Den Dorfbewohnern waren so strenge Blicke vertraut. Fünfzehn Jahre davor hatten sie unter den strengen Blicken der SS -Offiziere von Hartheim die Köpfe eingezogen, im Wirtshaussaal mitten in Alkoven, als sich die Gerüchte zu häufen begannen wegen der stinkenden, dicken, rußigen Rauchschwaden, die der hohe Schornstein Tag für Tag ausstieß, der plötzlich emporgewachsen war über den Dachfirst des Schlosses.
Als die Bauern murrten, weil niemand mehr ihren Salat essen wollte, der überzogen war von einem feinen, schmierigen Aschenfilm, und als die Leute immer offenkundiger ihre Vermutungen anstellten über die Busse mit den grau bemalten Fensterscheiben, als die Mägde bei der Feldarbeit die kleinen Knochenstücke sammelten und zu Häufchen neben den Wegen schlichteten, die bleichen Splitter, die von der Knochenmühle nicht fein genug zermahlen worden waren und die von den Lastwagen gefallen waren auf ihrem Weg zur Donau, in die sie die Asche schütteten, da befahlen Franz Stangl und
Weitere Kostenlose Bücher