Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
Vom Netzwerk:
welche kommen, die werden alles besser wissen als Sie und ich. Da denke ich weniger an die Medienleute, Medienleute sind in aller Regel an allem, was sich nicht gleich bei Google findet, nicht interessiert, und Reisejournalisten schon gar nicht, da muss das Package stimmen, ja, in regelmäßigen und kurzen Abständen schöne Reisen, first class natürlich alles, nette Betreuung, eine gute Pressemappe, aus der sie ohne viel Anstrengung ihre Beiträge zusammenschustern können, und ja nie Langeweile. Das genügt. Von den Medienleuten wird keiner Sekundärliteratur lesen, da bin ich sicher. Aber die pensionierten Studienräte und die Gymnasialprofessoren, Altphilologie, verstehen Sie, da dürfen wir nicht einmal den Ansatz einer Lücke lassen, in die sie sich verbohren könnten.
    Und wegen Künzing, sagte er, da wäre es schön, sich ein wenig zu verbreitern um das Thema Lazaruswunder herum. Beziehen Sie sich auf das Neue Testament, aber ohne Quellennachweis. Nur kurze wörtliche Zitate, aber ohne Nennung der Quelle. Das mögen die Studienräte, wenn sie selbst draufkommen. Da können Sie brillieren im Bus und beim Frühstücksbuffet.
    Nach einer kurzen Pause sagte der Sprecher meiner Auftraggeber: Dieses Lazaruswunder von Künzing, wie interpretiert das eigentlich Giese?

49
    Wieso heißt der Teufelsbaum eigentlich Teufelsbaum?, fragte ich sie. Meine Mutter lachte glucksend und rief: Wie ihr euch da gefürchtet habt! Und dann rückte sie sich zurecht, fragte, wie ich denn da auf einmal daraufkomme, das sei doch eine lange vergessene Geschichte, die niemanden interessiere, aber es war nur ein Sich-Zieren, sie wollte erzählen. Sie hatte begonnen, meine Neugier zu genießen, das machte aus der Tochter der Zähneausreißerin eine beinahe so wichtige Bewohnerin des Dorfes wie es ihre Mutter gewesen war. Ob mir die seltsamen Kreuze auf dem Friedhof noch im Gedächtnis seien, fragte sie, drei seien es gewesen, an der Kirchenmauer, gleich dort, wo das Kriegerdenkmal ist.
    Sie schüttelte den Kopf. Da kannst du keine Erinnerung haben, sagte sie, warst noch viel zu klein. Und dann fing sie an, von hinten zu erzählen, was ich später, als ich den Anfang kannte, so deutete, dass es ihr unmöglich gewesen wäre, mit dem Beginn zu beginnen, denn da hätte sie eine stillschweigende Übereinkunft brechen müssen. Und das konnte sie unmöglich leisten, sozusagen aus dem Stand, ohne Anlauf. Weil der Anfang dieser Geschichte ein Tabu ist für das Dorf, eines von vielen.
    Es war ein Frühling, sagte sie, ich weiß nicht mehr, ob es ein schöner war. Da warst du gerade erst einmal ein Jahr alt oder so. Da hat es sich begeben, dass drei Lastwagen in das Dorf hereingebraust gekommen sind, und viele Autos, in einer Kolonne, ein prunkvoller Zug. Und wie sie gerast sind! Die hätten jedes Huhn kaputt gefahren, das nicht rechtzeitig von der Straße gesprungen wäre, und jedes Kind. Wie wir da geschaut haben. Diese vielen großen Sterne, auf jedes Auto waren zwei gemalt, links und rechts. Große rote Sterne.
    Die Russen?, fragte ich.
    Sie nickte. Dann haben sie sich zusammengebremst vor der Kirche, dass es nur so gestaubt hat, und überall sind Männer herausgesprungen, Soldaten, alles so furchtbar schnell, nur gerannt sind die, und die Offiziere haben geschrien die ganze Zeit. Was wir uns gefürchtet haben! Jetzt sind sie also doch noch da, nach zehn Jahren. Weil bei uns waren eigentlich die Amerikaner, sagte sie mit einem Seitenblick, und die hast du gar nicht mehr gespürt, nach den ersten paar Monaten. Das war schon ein sehr seltsames Gefühl, wie dann auf einmal die Russen einmarschieren, zehn Jahre nach dem Krieg. Man hat ja so viel gehört, du weißt schon, da hast du Angst gehabt, gerade als Frau.
    Haben die so einfach da herumfahren können, in der amerikanischen Zone?, fragte ich.
    Komisch, sagte sie, daran hat man gar nicht gedacht. Ich könnte es nicht sagen. Wahrscheinlich waren da eh amerikanische Jeeps auch dabei. Aber in der Erinnerung habe ich nur die Russen. Wie sie hineingerannt sind in den Friedhof, irgendwie ganz wild und schnell sind die gerannt, aber gleichzeitig in Reih und Glied. Dann sind sie alle stehen geblieben vor den seltsamen Kreuzen und sind sehr still geworden, die ganze Horde. Es waren Kreuze mit drei Querbalken, sagte sie nach einer Pause, drei Kreuze mit drei Balken, du kennst das vielleicht aus dem Fernsehen, wenn du in einem Reisemagazin etwas siehst aus dem Osten. Sehen aus wie unsere Kreuze, aber mit

Weitere Kostenlose Bücher