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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Knabenjahre. Die Männer sprangen als Erste auf, als wir langsam vorbeitrieben, bückten sich, um Steine aufzuheben, zielten auf unsere Köpfe und schossen, schrien Schimpfworte herüber. Sie trafen nicht, es war einfach, man musste nur im Auge behalten, wenn einer den Arm hob und zum Wurf ansetzte, und dann einen Augenblick lang wegtauchen, bis man den Stein ober einem aufs Wasser platschen und gurgelnd versinken hörte. Die Frauen gingen effizienter gegen die kindlichen Voyeure vor. Ein paar von ihnen sprangen in den Strom und schwammen auf uns zu, in Windeseile drehten wir ab und strebten dem heimatlichen Ufer zu.
    Zwei von den Frauen, sehnig und groß gewachsen, mussten trainierte Schwimmerinnen sein. Sie holten uns ein im Handumdrehen, erreichten den langsamsten Schwimmer, es war der bessarabische Bauchzwick, drückten seinen Kopf ein paar Mal unter Wasser, bis er zu keuchen und husten anfing. Dann schaffte ihn eine mit geübtem Rettungsschwimmergriff an den Strand. Sie schrien zu uns her, dass wir gut zusehen sollten. Sie stellten Bauchzwick auf die Beine, eine zog ihm mit schnellem Griff die Badehose hinunter bis zu den Knöcheln. Dann packten ihn vier Frauen an Händen und Füßen, hoben ihn hoch, trugen ihn wie ein erlegtes Stück Wild zum Augebüsch und warfen ihn in das dichte, beinahe mannshohe Brennnesselgestrüpp. Die Nudisten lachten und riefen dem Bauchzwick zotige Schmähungen hinterher, als er heulend aus den Brennnesseln sprang, die Badehose hochzog, in die Wellen hüpfte und in weitem Abstand von uns zurück über die Donau schwamm.
    Ochki-kwe und Otterherz lebten den ganzen Winter hindurch äußerst angenehm. Und als der Frühling kam, und mit ihm die muntere Zeit des Zuckermachens, da zogen sie hinaus ins Zuckerlager und im Zuckerlager gebar sie ihm einen Sohn. Otterherz malte sich in endlosen Tagträumen aus, wie schön die Zukunft sein würde, mit einem Sohn, den er zu einem unübertrefflichen Jäger erziehen werde. Doch an dieser Stelle habe die alte indianische Erzählerin aufgeseufzt, berichtet Kohl: Wie selten gehen schöne Träume in Erfüllung! Wie wenig gehört dazu, um das vollkommenste Glück zu vernichten. Es ist wohl so, wie der Weise aus dem Osten so simpel sagte: Mit der Geburt tritt der Tod ins Leben.
    Tagträumend saß ich zunehmend in diesen Tagen des Alleinseins in der elterlichen Wohnung, träumte Tagträume, die Mishi Bizhi und mich betrafen, aber dabei war ich auf eine verquere und verwirrte Art froh darüber, dass ich meiner sicher sein konnte, dass ich niemals den Mut aufbringen würde, auch nur die Ahnung einer Annäherung in Richtung Trixi in Gang zu setzen. Obwohl meine Geilheit wuchs. Aber was sollte ich anfangen mit ihr. Was wäre, wenn meine kleinen, schmutzigen Fantasien, die mit wachsender Macht hochkamen in mir, sobald ich an sie dachte, real würden? Ich weiß doch nicht, weiß es nicht mehr, wie man so ein dünnes, junges Luchsweibchen anfasst. Weiß nicht, ob ich es überhaupt könnte. Würde ich die Finger über die unkeuschen Stellen ihres Körpers flattern lassen können? Wollte ich es überhaupt? Unkeusche Gedanken, unkeusche Taten, unkeusche Körperteile, unkeusche Worte, so hatten es die Zisterzienserpräfekten genannt, alles Leibliche war ihnen unkeusch. Dass sie uns dieses Wort wieder und wieder vorbeteten wie eine niemals endende, das Böse abwendende Litanei, hatte mich und wahrscheinlich die anderen auch neugierig werden lassen auf unkeusche Taten und Worte und Gedanken und Körperregionen, muss den Bodinger einmal fragen, ob es ihm auch so geht, dachte ich, immerhin befinden wir uns in einem Arzt-Patient-Verhältnis, das ist ein Vertrauensverhältnis, vergleichbar den Verhältnissen in den alten, modrigen, engen Beichtstühlen der Stiftskirche, satt vom Geruch des Angstschweißes der beichtenden Knaben und den Rotwein- und Tabakausdünstungen der Ordensmänner jenseits der Gitter und dem kalten, an leblose Fäulnis erinnernden Geruch von ihren schwarz-weißen Kutten.
    Böse endet in Kohls Buch die Geschichte von Otterherz und der guten Schwester, aus Gründen, die nicht recht klar werden, verwandelt sich Ochki-kwe in einen Biber und das Baby in ein Biberchen, als ihre Füße das Wasser eines Rinnsals berühren, und beide schwimmen fort in dem mächtigen Fluss, in den sich das Rinnsal blitzartig verwandelt hat. Otterherz fleht sie an, zurückzukehren, oder zumindest das Biberchen zu ihm zu lassen, damit er seinen Sohn ein letztes Mal küssen könne.

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