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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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hatten und die Eltern und den süßen kleinen Babybruder im Birkenbastkörbchen, und dann auch noch den irokesischen Namen, den sie ersetzten durch Catherine, diese sanfte, vollkommen reine Lilie von den Bänken des Mohawkflusses fiel mir ein, während ich die Donau entlang nach Westen fuhr mit der Mutter auf dem Beifahrersitz. Noch im Auto hatte ich sie gefragt. Mit der Landesausstellungssache bin ich jetzt bald fertig, sagte ich, und dass ich nun Zeit und Neugier hätte, ihre Geschichte und die ihrer Brüder zu hören. Ob wir uns zusammensetzen könnten in ihrem Haus, fragte ich, sie sah nach vorn durch die Windschutzscheibe und murmelte, dass es ihr recht sei, wenn ich es unbedingt wolle. Ihre Zustimmung versetzte mich in Angst, und deshalb wünschte ich mich nur weg vom Donaustrand, zurück zu den Indianerflüssen meiner nordamerikanischen Zuflucht.
    Seit ich bei meiner Mutter wohnte und ständig auf der engen Nibelungenbundesstraße zwischen ihrer Doppelhaushälfte und Linz hin- und herfuhr, hatte ich begonnen, die schmalen und gewundenen Uferstraßen zu hassen, und die kleinen, mickrigen Autos. Ich wollte wieder sitzen in einem großen Geländewagen und tempomatgeregelt eine breite, gerade Straße befahren, allein, ohne das Gewusel und Gewirr und das Zuviel von allem. Ich sehnte mich nach den stundenlangen einsamen Fahrten die Großen Seen und ihre Zuflüsse entlang, durch Felsenland, der Highway immer ganz nahe neben dem Wasser, Xsan hieß mein Lieblingsfluss, Fluss des Nebels. Fast ist es dort wie in Linz, neben der Donau, westlich von Linz, wo sich der Strom durch einen Ausläufer des Mühlviertler Granitsockels arbeitet.
    Ist wie ein November in Linz an einem späten Vormittag bei anfänglicher Inversionswetterlage, Nebel, Nebel, Nebel, der dein Hirn in Watte packt und dich gereizt macht, dann müde, dann verzweifelt, und schließlich zu müde für Verzweiflung. An manchen Tagen aber bricht gegen Mittag die Sonne durch den Nebel und schaltet die Lebensgeister ein. Wie die guten Tage waren in Linz, so ist es am Xsan. Dünner Nebel über dem Wasser und den Ufern, glitzert und schimmert in den Strahlen der Spätherbstsonne.
    Der Xsan ist so breit wie die Donau, aber lebendig wie ein Gebirgsflüsschen, sein Schotterbett ein reines Chaos mit Inseln und Bänken und immer wieder sich teilenden und vereinenden Armen, über Dutzende Kilometer ist der Xsan weit und flach, wie ein überdimensional breiter Bach plätschert das Wasser über die Steine, dann rücken dem Fluss die Felsufer und der Busch ganz nahe, und sein Wasser wird zum rauschenden Tosen. Breit wie die Donau, ja, aber bewegt und lebendig, während die Donau bloß noch so etwas wie ein träger Stausee ist.
    Ich ließ mich eine Zeit lang versinken in den Wunsch, wieder am river of the mist zu sein, am Fluss des Nebels, ließ mich sinken in diese süße, bitter schmerzende Sehnsucht nach Woanders, aber es funktionierte nicht wirklich, ich konnte nicht aufgehen in der Bitternis und eingehen in die Süße, weil ich wusste, dass der Xsan mir deshalb ein Sehnsuchtsort ist, weil ich dort einer bin, der mit nichts etwas zu tun hat. Der Fluss und die Wälder und die missbrauchten, vorsätzlich mit eingeschleppten Krankheiten geplagten Menschen der Ersten Völker und ihre Restitutionsansprüche an die Staaten der Weißen und ihre schrecklichen Geschichten von den systematisch Nacht für Nacht in den Internaten der christlichen Patres durchgevögelten Kindern und die riesigen benzinverschlingenden Geländefahrzeuge und die proletarisch anmutenden Freizeitvergnügungen, Golf einschließend, haben nichts mit mir zu tun. Ich habe dort mit nichts etwas zu tun, mit nichts und niemandem. Hier habe ich mit allem etwas zu tun, und alles hat mit mir zu tun. Darum möchte ich weg von hier und möchte dort sein. So einfach ist das.
    Kateri Tegagouita fiel mir ein, weil am Morgen auf dem Display meines Handys die Nachricht aufgeblinkt war, dass jemand gegen zwei Uhr versucht habe mich anzurufen, die angezeigte Nummer war die des Wasserluchsweibchens, was will sie um zwei in der Nacht?, im SMS -Eingangsordner fand ich die Antwort, Nachricht eingegangen um 02:11, Inhalt: hast schon nachgedacht bzgl meiner frage?
    Natürlich, natürlich, aber da gibt es nichts nachzudenken. Und ich wünschte mir, mein pubertärer Indianermädchentraum hätte nicht Marie Versini gegolten oder Ribanna Karin Dor oder Apanatschi Uschi Glas, sondern der keuschen Tochter einer getauften Algonkin und

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