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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Katalog zur Doppellandesausstellung eine große Leserschaft finde, und lasse den Dampf der wachsenden Selbstlangweilungswut ab im Zerhacken der Geschichten und Beobachtungen in den privaten Gegenberichten. Es hat aber mit nichts etwas zu tun. Und schriebe ich die Flucht- und Versteck- und Sich-durchschlagen-Geschichten dieses Eisenjungenmädchens auf, farbig und bunt natürlich, dann hätte das nichts zu tun mit Trixi, und auch nichts mit dem Land, das den Endpunkt seiner jahrzehntelangen Anstrengungen, sich selbst zu vergessen, so gut wie erreicht hat. Es kommt nie mehr heraus, als ohnehin schon drin ist. Und viel ist das nicht.
    Beim Passieren der Abfahrten von St. Pölten beschloss ich, die Nacht in Wien zu verbringen und morgen beim Zurückfahren von der Autobahn abzufahren und noch einmal in Mautern Eindrücke zu sammeln. Damit diese Reise von Linz nach Wien und zurück einen dienstlichen Charakter bekommt, einen Zweck und ein Ziel. Denn ziellos unterwegs sein macht mich nervös. Ich brauche Zwecke und Ziele, sonst höre ich auf und setze mich auf Mutters Couch und sehe fern für den Rest ihres und meines Lebens. Es würde in meinem Fall nicht so sein wie bei Michael Caine, schon wieder ein Kain, an den ich denke, wenn ich nicht an Kain und Abel denke, der auf die Frage nach seinem letzten Ziel eine Antwort gegeben hat, die mir gefällt. Ich möchte einmal auf einer Veranda sitzen und Dinge bereuen, die ich gemacht habe. Und nicht solche, die ich nicht gemacht habe.
    Da kicherte die Eiche in meinem Kopf und fragte spöttisch, ob ich denn unbedingt ein Herumkrauchen in den Römerresten Mauterns brauche als Ziel; ob es nicht genug Zweck einer zweieinhalbstündigen Autofahrt sei, einem armen Menschenkindlein in einer Notlage zu helfen. Kicherte und kicherte und redete sich hinein in immer ordinäreren Worten in eine Spekulation darüber, ob mein Ziel, das aktuelle, nicht das letzte, am Ende sei, dem armen zu helfenden Kindlein Schutz und Obdach zu besorgen in der großen bösen Bundeshauptstadt, mit der Aussicht, selbst auch unter dies Obdach schlüpfen zu können und unter eine Hotelzimmerbettdecke, und die weiche warme verfolgte Mädchenhaut zu schützen mit meiner eigenen Haut. Ich drehte das Autoradio lauter, das zotige Gemecker der Teufelseichenstimme war nicht zu übertönen.
    Ich will keine Umstände und Beschwernisse und Verwicklungen mehr haben mit Gefühligem und Liebesdingen und unkeuschen Gedanken, Worten und Werken. Seit Jahren wächst das Gefühl, genug zu haben. Alles, was diesbezüglich zu tun war, ist getan. Abgehakt. Erledigt. Immer seltener wühle ich in der Zweizimmerwohnung in Thunder Bay in der Schachtel mit den Fotos der paar Frauen, die mir nahegekommen sind, lese alte Mails, lehne mich eine Minute oder zwei zurück und versuche, mich an Gespräche, Berührungen, gemeinsame Unternehmungen zu erinnern. Ich kann den Moment nicht benennen, in dem ich aufgehört habe, neugierig zu sein, auf ihre Körper, ihre Gerüche, die Linie vom Haaransatz im Nacken zur Mulde zwischen den Schulterblättern.
    Aber die kosovarische Wasserlüchsin versetzt mich in eine diffuse Form flacher Angst. Weil ich wieder neugierig werde. Weil ich wissen will, wie dieser sanfte Bogen vom Nacken zum Rücken bei ihr aussieht. Es macht mir Angst, dass ich einen Menschen begehre, der vierzig Jahre jünger ist als ich, falls sie das gesuchte Asylmädchen ist. Und selbst wenn sie es nicht wäre und wirklich achtzehn Jahre alt wäre, ängstigt mich die Heftigkeit, mit der mich das Denken an ihre unkeuschen Stellen überfällt. Flach ist die Angst, weil ich sicher bin, dass dem Begehren keine Taten folgen werden, zumindest nicht von meiner Seite. Ist ja gut, wenn du das glaubst, meckerte die Eiche.

70
    Ich hatte Mishi Bizhi belogen, ich war nicht am Schreiben gewesen, ich war im Wohnzimmer gesessen, stundenlang, hatte den Minidiscrecorder vor meiner Mutter auf den Tisch gelegt, sie murmelte vor sich hin, reden wir weiter, hatte ich sie gebeten, sie sprach aber die meiste Zeit nicht von dem Mann, der meinen Namen trägt, sie redete unbestimmt von früher, und früher, das ist immer der Krieg und die Nazizeit.
    Ich hörte nur halb hin, schaute durch das große Fenster nach draußen, wo einmal das Arbeitsdienstlager gewesen war, wo für mich die Schneeglöckchenwiese gewesen war, wo jetzt verdichteter Siedlungswohnraum war, blasse gesichtslose Häuser in einer großen Beengtheit, von außen gesehen, drinnen auch fast alles eng,

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