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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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kleine Kinderzimmer und kleine Schlafzimmer, nur die Wohnzimmer, die sind riesig. Und sehnte mich nach den alten, winzigen Stuben und Wohnküchen in den umgebauten Bauernscheunen und Wirtschaftstrakten, die ich so gehasst hatte wegen all der Schäbigkeit, jetzt wünschte ich mich zurück zu den speckigen Eckbänken und den Küchentischen mit den unverwüstlichen Resopalplatten. Wollte wieder sitzen auf so einer Bank, die ungemütlich und hart war, weil die Sitzfläche zugleich den Deckel des Hauptstauraums der Arbeiterwohnung darstellte, es war die eigentliche Funktion der Eckbank, man klappte die Sitzflächen hoch, drinnen war das Podest der Bank voll von alten Zeitungen und Quellekatalogen und Reisebürobroschüren. Der Alte aus Duluth hat besungen, wie sich so was anfühlt. I wish I wish I wish in vain that we could sit simply in that room again. Und er hat 1962, da war er beinahe noch ein Kind, gewusst, was Alte wissen. Our chances really was a million to one. Und ich beneidete, zugleich mit diesem diffusen Sehnsuchtsgefühl nach der verlorenen Schäbigkeit der Kinderjahre, die Menschen in den neuen Fertigteil-Einfamilienhäusern von der Stange, weil sie der Ort hier und alles in und mit dem Ort nichts angeht.
    Im Dreiundvierzigerjahr habe ich einrücken müssen, sagte sie. Im November dreiundvierzig haben sie mich geholt zum Reichsarbeitsdienst, und ich komme nach Oldenburg, ein halbes Jahr lang, jedes Monat ist man einer anderen Familie zugewiesen worden, einmal in einem Geschäft helfen, dann bei Bauern, oder Kinder betreuen. Nur vier Österreicherinnen seien sie gewesen in einem Riesenbarackenlager mit Hunderten deutschen Mädchen, und nach einem halben Jahr sei die Freude immer größer geworden, weil sie gewusst hatten, jetzt geht es bald nach Hause. Sie lacht kurz und böse auf. Aber auf einmal hat es geheißen, wir werden kriegsverpflichtet. Wir durften nicht mehr weg.
    Von Lohne kam sie nach Vechta, Westfalen, bekannt wegen seiner Zuchtpferde, wieder ein Barackenlager, wieder Schlafsäle mit zwanzig und mehr Betten in Reih und Glied. Ein paar sind nach Berlin eingeteilt worden, sagte sie, mein Gott, was da alle Angst gehabt haben vor Berlin, man hat ja gewusst, da ist es gefährlich, die Bomben, du weißt, es war da ja schon vierundvierzig, Sommer 1944. Es war einem da ja schon mehr oder weniger klar, dass es verloren ist.
    Verloren? Was ist verloren? Wem geht was verloren?, will ich fragen, unterbreche sie jedoch nicht. Es ist immer noch drin in ihr, denke ich, das Reden und Fühlen und Denken, das sie in sie hineingepresst haben in ihrer Kinderzeit und Jungmädchenzeit, es ist wie mit Dörfler, in dem war es 1948 auch noch drin, als er seinen Seher von Noricum geschrieben hat. Ganz selbstverständlich nennt er den ägyptischen Soldatenchristen und Märtyrer und postmortalen Wundergaukler, den unter Kaiser Diokletian auf dem Scheiterhaufen verbrannten Menas, den Heiligen und Patron der Kaufleute, einen Blutzeugen , es muss ihm das Wort eingebrannt gewesen sein als selbstverständlichstes Synonym für Märtyrer, feierten die Nazis doch Jahr für Jahr in Dörflers München die Erschossenen des Hitler-Ludendorff-Putsches vom November 1923 als Blutzeugen der Bewegung in düsteren, todestrunkenen Inszenierungen. Und das ist bei Weitem nicht die ekelhafteste Stelle in Dörflers Severin-Roman.
    Die ekelhafteste Stelle ist jene, wo er den jungen, vorgeschichtlichen Severinus im punischen Afrika ein gewaltiges Loblied von alttestamentarischer Sprache und Wucht anstimmen lässt zum Lobe des Germanentums. Ein alter Mann hat den späteren Heiligen Mann gefragt, aus welchem Grund Gott diese Germanen geschickt habe als eine endlose Überschwemmung der zivilisierten Welt, wie die Sintflut, wie Gewitter, Sturm und reißendes Wasser, das alles überschwemmt, fortreißt und vernichtet. Da glitt der Schimmer eines Lächelns über das Gesicht des jungen Asketen, und er hob an zu einem ein wenig wirren Gleichnis, des Inhalts, dass die Germanen als ein von Gott gesandter Sturm über die Welt kämen, gleich Hagelschlossen, die die Ähren knicken. Worauf ein guter Hausvater die Schlossen sammle und sie aussäe, und diejenigen, die auf fruchtbaren Boden fielen, würden aufgehen und hundertfältige Frucht bringen, Frieden und reiche Ernte für die Menschheit. Diese schwulstige, nichts verdeutlichende Paraphrase auf alttestamentarisches Prophetendonnern ist in Wahrheit ein Furz, den Dörfler hier lässt, ein brauner Furz aus

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