Das leere Land
geschmacklos. Denn wir Buben hatten bald schon bemerkt, was der Zweck der Donauüberquerung auf der Brettertür war. Nicht um triumphierend auf den Wellen zu reiten, ließ der Mann sein Gefährt hinausschießen in die Strömung, nicht um seinen Mut zu beweisen, seinen Körper zu stählen, und auch nicht aus purer Lust an Gefahr und ihrer Bewältigung. Es waren die Nackten drüben auf dem FKK -Strand. Bei niedrigem Wasserstand, und der war im Sommer oft gegeben, kam er bis auf zwanzig, dreißig Meter an das jenseitige Ufer heran, dann schwebte er minutenlang auf der Stelle und starrte das Fleisch an, das da in der Sonne lag, nur ab und zu wich er mit geschickten, raschen Beinbewegungen Steinwürfen aus, warf immer wieder einmal Blicke flussauf- und flussabwärts, ob kein Frachtkahn oder DDSG -Dampfer auftauchte, denn ein Schiff, das sich zwischen seine Brettertür und das Südufer geschoben hätte, wäre eine echte Gefahr gewesen. Ein Spanner war der Mann, den wir den Spannersurfer nannten, mehr nicht, und sein Flussüberqueren hatte nichts Grandioses, nichts Erhabenes, nichts Transitorisches, und schon gar nichts Metaphorisches in Sachen Styx und Severinus.
Und darum will ich nichts erzählen von den paar kurzen Kindheitssommern an der Donau, nichts von den beinahe einstündigen Wanderungen in jede Richtung, auf schmalen Pfaden durch die Au, gegen Ende der Ferien trugen die Brombeersträucher schon Früchte, ich pflückte sie, kaum dass sie ein wenig Farbe hatten, verdarb mir den Magen. Aber wenn sie reif waren! Nichts von den Warnungen der Mütter, nicht zu tief in die Brombeerstauden hineinzustapfen, nicht wegen der kleinen Dornen warnten sie, die nur oberflächlichste Wunden rissen, sondern wegen der Schlangen, die sich in der Tageshitze gern in das dichte Buschwerk verkrochen. Nichts von den Inseln und den Strudeln, die zu durchschwimmen ich, anders als die meisten Gleichaltrigen, nie wagte. Nichts von dem eiskalten Nebenarm, dessen Wasser im heißesten August nie wärmer wurde als das Leitungswasser, das daheim aus dem Hahn kam. Hier schwammen nur die Kühnsten, zu gefährlich, sagten wir, die Feigen, wenn du es übersiehst, wirst du steif von der Kälte, und wenn dir das an einer Stelle passiert, wo du keinen Grund hast, ersäufst du. Die Mutigen lachten uns aus.
Nichts vom Schleichen im Gestrüpp hinter den Badebuchten, um Frauen zu beobachten, wenn sie die Schürzenkleider und die graubeige Unterwäsche abstreiften und hastig in ihre Badeanzüge schlüpften, die Angst vor Schlangen war da auf einmal weg. Auf eine Insel kommt keine Schlange, hieß es, was natürlich eine Dummheit war, denn bei Niedrigwasser waren die meisten Inseln mit dem festen Ufer verbunden, eine Landbrücke nicht nur für die Badenden, sondern für jede Art von Getier. Und nichts vom Frühlingshochwasser des Jahres 1964, das beinahe das Dorf erreichte und Hektar um Hektar Bauernland überflutete; im Herbst danach fluchten die Bauern und verwünschten den Limonadefabrikanten, denn durch ihre Felder, die ein paar Tage lang einen halben Meter hoch überschwemmt gewesen waren, zogen sich nun kilometerweit seltsam geschwungene, etwa einen Meter breite kahle Streifen durch die Rüben und das Getreide und den Mais, ein Ernteausfall war das, den ihnen niemand ersetzen wollte, obwohl jeder wusste, dass dies die Spuren des Limonadefabrikanten waren, der mit seinem Motorboot tagelang im seichten Wasser über den überschwemmten Feldern herumgekurvt war, dabei jedes zartes Pflänzchen und sogar die Saatkörner in der zu Schlamm gewordenen Ackerkrume mit der Antriebsschraube seines starken Bootes herausackernd wie ein überirdisch gewaltiger Pflug.
Das Hinscheiden des Severinus hebt in Eugipps Vita lange lange Zeit vor dem Ableben an, zwei Jahre zuvor lässt der Chronist den Heiligen Mann bereits den eigenen Tod voraussagen, auf Tag und Stunde genau. Nach all den vielen Kämpfen und langwierigen Auseinandersetzungen wurde dem Seher die göttliche Offenbarung zuteil, dass er bald aus dieser Welt hinübergehen werde. Er forderte die nunmehrigen Beherrscher Ufernoricums, Feletheus, den König des kurzlebigen Rugilands, und dessen böse Gattin Giso auf, in sein Kloster zu kommen, um ihnen ins Gewissen zu reden. Sie sollten die Romanen gut behandeln, denn am Ende würden sie dem Herrn Rechenschaft ablegen müssen. Und auch den Bruder des rugischen Königs, Ferderuch, dem Favianis tributpflichtig war, knöpfte sich Severinus vor, dieser musste
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