Das leere Land
und Verhandlungen und Waffenstillstandsgesprächen mit den Barbaren. Ich las die ausufernde Beschreibung Eugipps von den letzten Monaten, Wochen, Tagen und Stunden des Heiligen Mannes mit großem Missmut, weil ich keinen Zugang fand, keine Achse, an der sich diese lügnerischste Passage in Eugipps Lügengeschichte hätte aushebeln lassen und herüberstemmen in den Aufsatz in einer Form, die meine Auftraggeber nicht vor den Kopf stoßen würde. Darum wahrscheinlich surfte der Spannersurfer beharrlich durch meinen Kopf, während ich mich mit dem 8. Jänner 482 herumplagte, dem Todestag, das einzige konkrete Datum, das der getreue Chronist in seinen Text geschrieben hat.
Kurz überlegte ich, eine Erinnerung einzubauen in meinen Text, an diesen Mann mittleren Alters, den wir Kinder so bewundert hatten, wenn er eine ausgediente Brettertür an einem sehr langen Seil befestigte, das andere Ende um einen ganz nah am Donauufer stehenden Weidenstamm schlang, die Tür ins Wasser warf, zu ihr hinschwamm, sich hochstemmte auf die Bretter, aufstand, sich an einem kurzen, um das vordere Ende der Tür verknoteten Kälberstrick festhielt, mit geschickten Beinen das wackelige Floß ausbalancierend sich stromabwärts treiben ließ, bis das Seil spannte. Wie dann ein Ruck durch ihn und sein Gefährt ging, wie die Brettertür hochstieg gegen das damals noch rasch fließende Donauwasser. Wie er sachte mit dem flussseitigen Fuß gegen die Bretter drückte, die Tür sich schräg stellte, wie er dann hinaussauste in die Mitte des Stroms, hundert Meter, zweihundert und mehr in einem Augenblick, so schien es uns Knaben.
Niemand im Dorf hatte außer im Fernsehen bis dahin Surfbretter gesehen oder Surfer, aber so musste das sein im echten Hawaii, dachten wir. Und nun dachte ich, so leicht wie dieser Mann auf dem Provisorium eines Surfbretts das Schnelle Große Wasser überquerte, oder zumindest beinahe überquerte, so leicht überquerte die Seele des Severinus den Styx, den Fluss des Hasses an jenem kalten 8. Januar, an dem die Ufer der Donau bei Mautern von Eis starrten.
Und ebenso leicht und locker wie die geschicktesten und kräftigsten Krieger der Anishinaabe hüpfte die Seele des Heiligen Mannes auf den Kopf der Schlange, tänzelte anstrengungslos und unbeirrt von den Zuckungen und Windungen und dem Geschlängel des Tieres über dessen schuppigen Leib hinüber zum jenseitigen Ufer, wo ihn das Paradies bereits sehnsuchtsvoll erwartete. Johann Georg Kohl beschreibt mit einer Art ungläubiger Faszination die Paradiesvorstellungen der Menschen an den Großen Seen, am meisten faszinierte ihn der indianische Styx. Die Seelen der Verstorbenen, die auf ihrer drei- bis viertägigen Reise ins Jenseits als Erstes den Versuchungen der Großen Erdbeere zu widerstehen haben, die sie mit Duft und Süße vom rechten Weg zu locken versucht, gelangen am Ende an den Fluss, der das irdische Dasein vom paradiesischen trennt. Der Übergang ist nur möglich über etwas, das von Weitem aussieht wie ein Baumstamm auf dem Wasser, der sich in der Strömung bewegt. Näher getreten erkennt die Seele, dass es eine Schlange ist, lang wie ein alter Baum hoch und mit einem Leib so dick wie der Stamm. Der Schwanz der Schlange des Styx’ ist fest verankert am Paradiesufer, ihr Kopf reicht nicht ganz bis zum irdischen herüber. Der Jenseitswanderer muss nun mit einem gewaltigen Satz auf den Kopf der Schlange springen, und dann muss er über den Schuppenleib hinüberlaufen, während die Schlange ihren Körper windet und schüttelt auf dem Wasser des Todesflusses. Wer stürzt, ist verloren für das indianische Paradies, in dem Augenblick, in dem er in den Strom fällt, verwandelt er sich in eine Kröte oder einen Fisch und wird fortgeschwemmt.
Eine assoziative Verknüpfung zu schaffen zwischen meiner Kindheitserinnerung an den Mann, der über die Donau surfte, und dem eben gestorbenen Severinus, dessen Seele die Donau überquerte wie einen Totenfluss der nordischen Provinzen, erschien mir als reizvolle Möglichkeit für den Aufsatz. Aber dann verwarf ich sie doch gleich wieder. Zum einen, weil die Verknüpfung von Styx und Donau und Severinus, so sehr sie passte zu dieser herausragenden Persönlichkeit der Spätantike, niemals die Zustimmung des Sprechers meiner Auftraggeber finden würde, zu barbarisch war das, zu heidnisch, völlig ungeeignet, insbesondere als Schlusspunkt der Abhandlung über diesen frühen Christianisierer des Donauraums.
Zum anderen erschien es mir
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