Das leere Land
versprechen, Besitz und Personal des Klosters nach dem Ableben seines Oberhauptes nicht anzutasten.
Was Ferderuch natürlich versprach, und was dieser arme gottlose Mensch in seiner barbarischen Gier nach dem Tod des Severinus natürlich nicht hielt, er plünderte das Kloster, Silberkelche, Altargeräte, alles von Wert ließ er fortschaffen. Und auch Feletheus und Giso hielten ihre Zusagen nicht ein, was über alle drei den Zorn des Herrn kommen ließ, sagt Eugipp, früh schon starben sie gewaltsamen Todes, Ferderuch vom eigenen Neffen ermordet, Feletheus und Giso auf Befehl des Odoaker gemeuchelt. Diese Begebenheiten, die Eugipp hier als lehrreiche Mär bringt, die uns klarmachen soll, dass die Rache Gottes dem gewiss ist, der sich an seinem Eigentum und seinen Dienern vergreift, waren in Wahrheit machtpolitische Wirren und Ränkespiele, die Anfänge des Untergangs von Rugiland. Es hatten sich Parteiungen und Spaltungen unter den Rugiern ereignet, Feletheus entsagte dem italischen Herrscher Odoaker die Gefolgschaft, näherte sich dem kommenden Mann an, dem Ostgoten Theoderich, Feletheus’ Bruder Ferderuch blieb Odoaker, dem Bezwinger des Imperiums, treu, ein Krieg unter Brüdern und Onkeln und Neffen hob an, ein Bürgerkrieg, Odoaker zerschlug das kleine Rugierreich, und innerhalb weniger Jahre waren der Stamm der Rugier und Rugiland verschwunden, Theoderich wiederum beendete Macht und Herrschaft des Odoaker, es ist ein zu verwickeltes und verwirrendes Politikgeflecht und Machtgerangel, um es nachvollziehbar erklären zu können.
Und dann lag Severinus auf dem Sterbebett, in Kapitel dreiundvierzig lässt ihn Eugipp anheben zu einer großen Abschiedsrede. Ich sah mich außerstande, diese Passage anders als mit einer kurzen Erwähnung in den Aufsatz einzubauen. Denn es ist der Höhepunkt von Eugipps Verdrehungs- und Umdeutungskunst, es ist das durchsichtigste Erzeugen von Heiligenlegende. Schon die Kapitel davor sind ein Witz, all das Den-Herrschern-ins-Gewissen-Reden und die Prophezeiungen des Severinus bezüglich der bevorstehenden Absiedlung der Romanen aus den Donauprovinzen lassen sich bei bestem Willen nicht mit den bekannten Zeitabläufen und historischen Ereignissen in Einklang bringen.
Die Trost- und Mahnrede des Severinus auf dem Totenbett, mehr als zwei Seiten lang in der Vita , ist eine durchgehende Aneinanderreihung von Zitaten und Anspielungen aus der Bibel, vom Buch der Könige im Alten bis zur Apostelgeschichte im Neuen Testament reichend; Severinus hat diese Rede nie gehalten, davon bin ich überzeugt, Eugipp hat sie erfunden als eindrucksvollen Höhepunkt am Ende seines Textes, kunstvoll komponiert und stilistisch ausgefeilt wie kein anderes Kapitel. Er ist dabei vorgegangen wie einer von uns heutigen Copy-and-paste-Sprachspielern, wie wir heutige kennzeichnet er die Zitate nicht und nennt nicht die Quellen. Und ringt einem irgendwie sogar Bewunderung ab, dieser Hagiografen-Trickster, denn er betreibt sein Spiel nicht um des bloßen Spieles wegen, sondern mit einer klaren Absicht. Alles läuft auf eine große Ermahnung hinaus, die einzige Ermahnung, die ihm alle Anstrengung wert schien, sie den Zeitgenossen wie den nachkommenden Geschlechtern zu vermitteln: Lebe das Leben als ein Gott und seiner Kirche gefälliges.
Im Aufsatz zum Katalog der Doppellandesausstellung behandelte ich den Sermon des sterbenden Heiligen lediglich mit ein paar Verweisen aus dem Fußnotenapparat meines Reclamheftchens. Ausführlicher ließ ich mich ein auf die letzten Worte des Severinus, weil sie mir gefälliger erschienen als all das Einmahnen von Demut und Glaubensstärke und heiligmäßigem Lebenswandel. Natürlich sind auch die letzten Worte Zitat, Psalm 150, der abschließende im Buch der Psalmen des Alten Testaments, Jubelnder Ausklang genannt in alten Bibelausgaben.
Als alle Anweisungen erteilt und alle am Totenbett Knieenden erbaut waren, forderte Severinus sie auf, der Reihe nach heranzutreten und einen Kuss mit ihm zu tauschen, dann verbat er ihnen ausdrücklich, um ihn zu weinen. Dann machte er mit ausgestreckter Hand das Kreuzeszeichen über seinen ganzen Körper. Dann bat er, man möge einen Psalm singen. Als die Mitbrüder in ihrer übergroßen Trauer zögerten, stimmte er selbst den Psalm an.
Lobt Gott in seinen Heiligtümern, lobt ihn in seiner starken Himmelsfeste, sang Severinus.
Hallelujah, sangen die Brüder, vorerst verhalten.
Lobt ihn ob seiner mächtigen Taten, lobt ihn ob seiner gewaltigen
Weitere Kostenlose Bücher