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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Lebensmittelmarkt der Kaiserstadt, nach Kohls Beschreibung muss es sich dabei um den Aschenmarkt gehandelt haben, den Vorläufer des Naschmarkts, nahe dem Starhembergischen Freyhaus, etwa in der Gegend zwischen heutigem Naschmarkt und Resselpark.
    Wie immer interessiert ihn vor allem die Sprache, lange fragt er herum, was es mit dieser seltsamen Bezeichnung auf sich habe, also was das Wort fratscheln bedeute, bis es ihm ein geduldiger Lohnknecht, der besagten Weibern zur Hand geht, erklärt. Fratscheln, schaun’s, heißt hekeln, und das bedeutet das Handeln, Schwatzen und das Gigl-Gagl, was die Weiber dabei treiben, wenn sie einen Käufer um ein paar Kreuzerle betrügen wollen, und das Hin und Her, was sie machen, wenn sie nicht wissen, wie sie das Geld aus einem herausbringen sollen, na, das nennt man halt fratscheln.
    Ich setzte mich in den verschlissenen Lehnstuhl beim kleinen Schreibtisch, im Dunkeln, das Licht von den Straßenlaternen am Neubaugürtel erhellte den Raum gerade so weit, dass ich den Umriss von Trixis Körper unter der Decke sehen konnte. Wasserluchsweibchen, ich sehe deine Bewegungen im Dämmerlicht, es macht mir Angst, ich bin zu alt, viel zu alt, ich bin dir nicht gewachsen. Ich schielte zu ihren dunklen, seidigen Haaren, und da regte sich die Lüchsin, jetzt nehmen deine scharfen Raubtiersinne vielleicht wahr, dass ich deine Haut anstarre, dass ich leise leise, damit du es bloß nicht hörst, die Luft einsauge aus deiner Richtung, dass ich zu halluzinieren beginne von deinem warmen, süßlichen Katzenpelzchenduft. Träge bewegst du die Schulter, deine Hand zuckt unter der Decke, ein katzennervöses Zucken. Nimmst du wahr, dass ich in Wahrheit nicht an deinem Flaum im Nacken, unterhalb des Haaransatzes, schnuppern will, sondern an deinem anderen Pelzchen, dem drahtig dunklen, das nach Himmel duftet? Ich sollte mich schämen. Das Wasserluchsweibchen könnte meine Enkelin sein, Tochter einer Tochter, die ich nicht habe.
    Mir wurde kalt, ich hüllte mich in die Bettdecke, setzte mich in den Lehnstuhl, lange konnte ich nicht einschlafen, irgendwann einmal fielen mir doch die Augen zu. Früh wurde ich wach, mein Rücken schmerzte von der Nacht in dem unbequemen Gestühl.
    Sie wurde wach spät am Vormittag, brauchte kein Frühstück, nur Kaffee und ein paar Zigaretten im Café Westend, dann setzten wir uns in den Fox und traten die Reise an von Wien nach Linz. Auf der Höhe von St. Pölten fragte ich sie, ob es ihr etwas ausmachen würde, wenn ich abböge nach Mautern, noch einmal herumstreifen in diesem Vergangenheitsland, versuchen, den Glanz des Imperiums zu spüren, und die qualvollen Zuckungen seines Zerfalls. Du bist der Boss, sagte sie, aber wenn du mich fragst: Das ist todlangweilig. Sie hatte recht. Mautern und die Römerhalle und die Severinssteintafeln und das Museum sind nicht mehr als irgend so ein Historyland, zwar ohne verkleidete Statisten, aber doch nur eine seelenlose, nachgestellte Kulisse. Kein Ort, aus dem Fleisch und Blut und Hass und Leidenschaft und religiöse Inbrunst dunsten. Ich verließ die Westautobahn nicht.
    Erzähl mir lieber von Amerika, sagte sie auf der Höhe von Ybbs. Was sollte ich ihr sagen? Dass es eine Enttäuschung war, nach wenigen Wochen, eigentlich schon nach Tagen, an Orten zu sein, die man sich so lange nur vorgestellt und ausgemalt hatte. Dass der wirkliche Kitchi Gami, der Große See, so ganz anders war, als er sein sollte nach der Lektüre von Kohls Buch. Dass das wirkliche Duluth und Hibbing so ganz anders waren als die Gegend, die der alt gewordene Shabtai Ziesel ben Avraham in seinen Chroniken beschreibt, kein Messinglärmen aus dem Glockenturm, das ein tiefes Gefühl von Geborgenheit vermittelt, kein Schnee, der von Dächern stiebt, keine Bleiglasfenster in Kirchen.
    Es war anders, als ich es mir vorgestellt habe, sagte ich.
    Es ist oft was anders als man sich’s vorstellt, sagte sie.

72
    Lasst ab von ungerechten Handlungen, verrichtet beharrlich fromme Werke, schärfte der Heilige Mann auf dem Totenbett seinen Mitbrüdern ein, eine endlos lange Abschiedspredigt hielt er ihnen, sie nickten zu allem demütig und versprachen hoch und heilig, all seine Mahnungen zu beherzigen und Aufträge zu erfüllen.
    Alles, was Odem hat, lobe den Herrn.
    Das waren die letzten Worte des Severinus, dann entwich seine Seele und überquerte den Totenfluss, ein letzter Weg als Parallelbewegung zu seinen unzähligen Donauüberquerungen zwecks Geiselbefreiungsaktionen

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