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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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sie, ich verneinte. In der Nationalbibliothek zu Wien können Sie jederzeit Einsicht nehmen, sagte sie.
    Im Schillerpark-Café schrieb ich in mein Notizbuch: Dörfler, Mutter, entliehen. Es ist nicht wegen des Mutter-Themas. Es ist, um zu sehen, ob er 1912 auch schon in diesem seltsamen faschistoiden Tonfall geschrieben hat.
    Wasserluchsweibchen kam nicht. Eine Dreiviertelstunde lang saß ich im Schillerpark-Café, hatte die Zeitungen durch. Sie waren voll von der Jagd des burmesischen Militärs auf die Demonstranten, alle brachten sie riesige Fotos der Soldaten, wie sie Mönche prügelten oder sie in Armeelastwagen warfen. Viele der Soldaten auf den Fotos trugen große rote Halstücher über die Krägen der Uniformjacken geschlungen, die meisten hatten sie über Mund und Nase gezogen, wie die Banditen in den alten John-Wayne-Western. In der Sache des untergetauchten Asylantenmädchens fand sich nichts Neues in den Nachrichten. Doch die Leserbriefseiten waren voll davon. Die Mehrheit stand auf der Seite der Verschwundenen.
    Wo bleibst du, Mishi Bizhi, bist du verschwunden wie Ninimoshin in den Liedern derer, die sich Die Menschen nennen?, Ninimoshin, was Freundin heißt oder Cousine oder auch Geliebte. Es ist ein Liebeslied der Ojibbeway, das Kohl vorgesungen wurde von einem Halbblut. Kohl setzt die Bezeichnung Lieder in Anführungszeichen, wenn er sie erwähnt, und er plustert sich ein wenig bildungsbürgerlich auf. Sie seien doch recht lakonisch, diese »Lieder«, bestünden in aller Regel nur aus einer Idee und aus einem einzigen Vers, der wieder und wieder heruntergeleiert werde. Was wird aus mir Armem, wenn meine Freundin mich verlässt für immer, hatte ihm das Halbblut minutenlang vorgesungen, dann ein weiteres Liebeslied, in dem ein Krieger erklärt, nun, da es Herbst werde, sei es Zeit, eine Frau zu suchen, die für ihn arbeiten wolle. Dann Kampflieder und Trauerlieder und Lieder für Knaben, die Männer werden.
    Früher hatte ich hier, in diesem Kaffeehaus, Politiker getroffen und Wirtschaftsmänner, um sie zu interviewen. Das Café im Hotel war diskreter als jenes beim Hauptplatz, in dem alle Journalisten der Stadt verkehrten. Wenn man sich dort mit einem Politiker traf, wusste es innerhalb weniger Stunden die ganze Branche. Damals hatte ich viel gewartet. Politiker lassen einen immer warten. Es gehört zu dem strategischen Verhalten, das man ihnen antrainiert, in jungen Jahren schon. Es ist fixer Bestandteil ihrer Kommunikationstechniken, dass sie Menschen warten lassen, die etwas von ihnen wollen, das schreibt unterschwellig bereits im Vorhinein fest, dass der Politiker sich in der überlegenen Position befindet.
    In Anse hatte Kohl das Halbblut Peter Jones getroffen, einen Mann vom Totem der Makwa, dem Clan der Bären, ein Stamm, der seit sehr langen Zeiten an den Großen Seen lebt. Jones rühmte sich eines Vorfahren, der vor vielen Generationen mit einer kleinen Gruppe von Kriegern hinabgereist war auf dem Großen Montrealfluss, der heute Lorenzstrom heißt, bis zum wirklich Großen Wasser. Sie wollten sehen, ob wahr war, was ihr Jossakid, ihr Heiliger Mann, prophezeit hatte.
    Kohl beklagt das Faktum, dass keinerlei Aufzeichnungen darüber existieren, was die Bewohner des Kontinents gedacht hatten über die ersten weißen Männer in den wunderlichen riesigen Kanus, wie sie sprachen über sie, wie sie sich dieses Fremde, das über sie hereingebrochen war, zu erklären versucht hatten in ihren Erdhütten. Kohl gerät gleich in die Sprache, möchte wissen, welche Folgen diese Veränderung einer jahrhundertelang unveränderten Welt im Reden der von ihr betroffenen Menschen und in ihren Erzählungen gezeitigt haben mochte, bedauert, dass dieser Prozess nirgends festgehalten ist. Und ist glücklich, als er Jones trifft und als der zu erzählen beginnt, was durch Generationen überliefert worden war.
    Der Jossakid hatte tagelang den Stamm beunruhigt, indem er jeden wissen ließ, der ihm zuhörte, dass sich in seinem Kopf eine Vision von großer Tragweite ankündige. Schließlich träumte er endlich seinen Traum, danach versammelte er die Heiler und geistigen und weltlichen Führer der Clans um sich und tat kund, was er gesehen hatte. Männer mit weißer Haut und Haaren im Gesicht seien eingetroffen, in unvorstellbar riesigen Kanus, gekleidet in Eisen, in Händen trügen sie Stöcke, aus denen Rauch und Lärm kamen, ein so schrecklicher Lärm, dass ihn seit seinem Traum dies Furchterregende nicht mehr schlafen

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