Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
Vom Netzwerk:
großen Strom durchstreifend, der nach dem Heiligen Lorenz benannt ist, ein entrückter Seher des Großseenlandes, der sein geängstigtes Volk mit Zaubertand beeindruckt und möglicherweise auch ein wenig tröstet oder zumindest vorbereitet auf kommendes Unheil. Und musste lachen.
    Kohl hatte Peter Jones’ Geschichte und die in seinen Augen simplen Liebeslieder und Kriegerlieder in Anse am Lake Superior aufgezeichnet. Ich hatte dieses heute nicht mehr existierende Anse mit L’Anse aux Meadows an der Mündung des St. Lorenz-Stromes verwechselt, was nicht Bucht an den Wiesen bedeutet, das haben einst die Briten und dann die Amerikaner einfach zu einem phonetisch zu ihrer Sprache passenden Namen umgemodelt, L’Anse aux Méduses, Bucht der Quallen, das war der Name, den die französischen Eroberer dieser Siedlung an der Nordspitze Neufundlands gegeben hatten. Die Touristikmanager vermarkten es allen seriösen Forschungen zum Trotz als Vinland oder Markland, erster Stützpunkt Europas in Nordamerika, den Leif Erikssons Wikinger vor tausend Jahren errichtet hatten. Damals war ich noch voller Lust am Herumreisen gewesen und war mit dem Auto hingefahren. Kleine touristische Roadmovie-Ausflugswoche durch das rote und gelbe Ahornlaub des Indianersommers, vor dem Verlag legitimiert als Fahrt auf den Spuren Kohls. Die Bucht der Quallen war abstoßend touristisch. Lange Schlangen an den Kassen, in beiden nachgebauten Wikinger-Erdhäusern so viele Menschen, dass ich Klaustrophobie bekam. Ich ließ den Film und die mehrsprachige Führung aus, floh sozusagen, streifte eine Weile mit dem Wagen über Schotterstraßen der Umgebung. Glaubte, ich könnte die Lagerplätze der Makwa finden, wo Jones dem deutschen Ethnologen die Lieder vorgesungen hatte, oder Reste der Missionsstation. War naturgemäß sinnlos, war ja das falsche Anse.
    Das Handy läutete einmal. Eine SMS , Absender unterdrückt. is was dazwischengekommen sorry melde mich demnächst am handy tschüss alter. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich grämen oder freuen sollte, dass sie mich Alter nannte. Von ihr aus gesehen war ich natürlich uralt. Doch die Bezeichnung Alter war wahrscheinlich nicht auf mein Alter bezogen, ich wertete sie als ein Anzeichen von Vertrautheit, wenn nicht gar Respekt.
    Ich zahlte und ging hinüber zu den Bibliothekscontainern. Das Dörfler-Buch lag bereit. Dann fuhr ich zur Pension. Es lohnte nicht, heute noch nach Zeiselmauer zu reisen. Eine Weile tippte ich Severinus-Notizen in den Laptop, sparte Absätze aus. Die würde ich erst später einfügen, wenn ich die Orte besucht haben würde, um die es ging. Ich richtete ein neues Dokument mit dem Titel Makwa Severinus ein und schrieb ein paar Assoziationen nieder und Überlegungen, wie ich den amerikanischen Bärenclan-Schamanen mit dem Heiligen Mann aus Noricum zusammenbringen könnte, ohne zu plump die Analogie der Zauberer- und Propheten-Trickserei in den Vordergrund zu stellen. Beider Streifen durch Urwälder, stets entlang großer Ströme, damit müsste es gehen.
    Am späten Nachmittag streunte ich durch die Stadt, spazierte die Donau entlang. Wie öde dieses Linz ist, und wie schändlich es seine schönsten Plätze vernachlässigt. Ich brach die Bummelei bald ab, es war zu kalt. Den Rest des Abends blätterte ich ziellos in Dörflers Mutter-Buch, suchte nach Blut-und-Boden-Passagen. Fand sie nicht.
    Als Mutter noch lebte war die erste Veröffentlichung und gleich der erste Bestseller des schwäbischen Priesterdichters gewesen. Auf dem Klappentext wird behauptet, Dörfler habe am Grab seiner Mutter geschworen, ein Erinnerungsbuch zu ihren Ehren zu schreiben. Es ist ihm nicht gelungen. Der Roman reiht bis auf die letzten zehn Seiten heitere Kindheitsgeschichtlein vom Lande aneinander, in denen die Mutter kaum vorkommt, in langsamer, betulicher Sprache, gelegentlich unterbrochen von seltsamen Ausbrüchen wie: Juchhe, Juchhe! Der Maikäfer ist auf! Juchheissa! Das Treiben beginnt! Nichts von der kargen und strengen Haltung Dörflers in seinem Severinus-Roman, auch nichts von der wütenden Selbstgerechtigkeit, die er dort über alles Heidnische und Lasterhafte und minderwertigen Rassen Angehörende kommen lässt.
    Auf den letzten zehn Seiten bricht die Erzählung komplett. Ein Brand und der Teileinsturz des Elternhauses lassen den Knaben Friedel, das Alter Ego Dörflers, in einen mehrtägigen Schlaf fallen, Koma würden wir es heute nennen. Als er endlich wieder erwacht, hat sich alles

Weitere Kostenlose Bücher