Das leere Land
gleich wieder. Weil die real existierenden Mächtigen in diesem Land gar nicht glauben, sie lenkten irgendetwas. Sie wissen, dass andere das Steuerrad drehen, aber sie machen das Spiel mit, weil es ihnen erlaubt, in den prächtigen bunten Autos zu sitzen, und weil es einem ein gutes Gefühl gibt, wenn sich eine derart große Maschinerie bewegt, und man kann den Zusehern weismachen, die eigenen Betätigungen bewirkten diese Bewegung.
Es hat sich doch Lotter bereits redlich und akribisch daran abgearbeitet, die Vita des Severinus in einen zeitlichen Rahmen zu bringen, da muss ich nicht auch noch einmal alles aufwärmen. Lotter ist zum selben Schluss gekommen wie ich, obwohl er es nicht ausspricht: Die Vita des getreuen Chronisten kann so nicht stimmen. Eugipp hat sich die Geschichte zurechtgebogen für seine Geschichte, und die sollte keine Fakten überliefern, sondern ein Heiligenbild. Ich begann zu verstehen, warum der Sprecher meiner Auftraggeber empfahl, Lotter eher im Hintergrund zu halten.
Zeiselmauer ist eine sehr langweilige Ortschaft, egal, aus welcher Richtung man kommt. Dennoch blieb ich dabei, im Aufsatz das heutige Zeiselmauer vorkommen zu lassen, wenn es um Asturis geht, und nicht Zwentendorf. Das Wort Zeiselmauer klingt nach Poesie und Swingsound, benennt ein charmantes, nettes Österreich. Zwentendorf klingt nach Strenge und Scheitern, benennt den Anfang von Bruno Kreiskys Ende. Und ist eine Erinnerung an jugendliche Unbedarftheit, der gelbe 2CV mit dem Protestaufkleber, seltsam sah das knallige Gelb des Atomkraft-Nein-Danke auf dem ausgewaschenen blassen Gelb des alten Autos aus.
Zeiselmauer ist besser. Zeiselmauer gemahnt uns doch an einen der liebenswertesten unter den von Sprache besessenen Menschen. Aput zeizemurum walthero cantori de vogelweide pro pellicio v solidos longos. In Zeiselmauer dem Sänger Walther von der Vogelweide für einen Pelzrock fünf lange Schillinge. So steht es auf der Reiserechnung des Wolfger von Erla, Bischof von Passau und die Künste liebender Mäzen, ausgestellt am 12. November 1203. Es ist das einzige Schriftstück, aus dem die tatsächliche physische Existenz des Sprücheschreibers und Minnesängers abzuleiten ist.
Mit einem protzigen Gefolge war Wolfger von Passau nach Wien gereist, um der Hochzeit von Herzog Leopold mit der byzantinischen Prinzessin Theodora beizuwohnen. In seinem Gefolge ritt der Verfasser von neunzig Liedern, hundertzwanzig Sprüchen und natürlich des unvergleichlichen Leichs . Auf dem Heimweg, die Donau aufwärts, auf denselben Wegen wie siebenhundert Jahre zuvor der Heilige Severinus, machte die prunkvolle Reisegesellschaft Rast in Zeizemurum, Zeiselmauer. An einem Mittwoch hielten sie sich auf in der kleinen Stadt, und Bischof Wolfger, der feinsinnige Kunstförderer, kaufte dem Minnesänger einen Pelzmantel als Geschenk für wahrscheinlich bei der Hochzeitsfeier geleistete Dienste.
Ich hatte den Mietwagen auf dem Parkplatz des Gasthauses Zum Grünen Baum in Muckendorf angehalten, wollte den letzten Kilometer bis Asturis zu Fuß gehen auf der sich sanft durch flache Äcker und Wiesen windenden Bundesstraße 14, gesäumt von dünnstämmigen jungen Alleebäumen mit mickrigen Kronen. Ließ es dann doch sein, aus Westen kommend wäre die falsche Richtung gewesen, und zu weit war es mir auch.
Also parkte ich in Zeiselmauer auf dem Platz zwischen Kirche, Gasthof Zum Lustigen Bauern und dem Bankgebäude des Raiffeisen-Ringes Tullnerfeld. Ich warf die Ausdrucke auf den Beifahrersitz, steckte den Notizblock ein und sah mich um, ob Menschen in der Nähe waren. Niemand sollte mich sehen, wenn ich ausstieg. Ich hatte etwas vor, das peinlich und lächerlich war. Sollte eigentlich egal sein, niemand kannte mich in Zeiselmauer und den Nachbarorten. Ich zog Schuhe und Socken aus, war gar nicht so leicht für einen fetten Mann in dem kleinen engen Volkswagen. Dann stieg ich aus.
Barfuß, wie der Heilige Mann es gehalten hatte sommers wie winters, schritt ich über den Kirchenplatz des Ortes, den für Asturis zu halten ich beschlossen hatte. Der Asphalt des Parkplatzes war angenehm lauwarm, das Gras daneben sehr kalt. In die Wiese war ich gestiegen, um zum Denkmal zu gehen. Ein Kriegerdenkmal, natürlich, auch hier, an prominentester Stelle platziert. Ein Türmchen, gemauert aus dunkelgrauen Granitsteinen, sich nach oben verjüngend. Auf der Spitze hockte ein steinerner Adler, den Kopf zur Seite gedreht, finster und böse starrte er gen Osten. Wo der
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