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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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werde, um ihr zu helfen.
    Bleib in den Wäldern versteckt, Wasserluchsweibchen aus Eisen. Wenn du dich ihnen stellst, werden sie dich nicht nur zerstören, sie werden dich auch in Stücke reißen. Und sie werden alles daran setzen, dass du nicht wieder zurückkehrst, sobald du einmal abgeschoben bist. Bleib versteckt. Aber mich ruf an! Ich schämte mich ein wenig, als mir bewusst wurde, wie ungeduldig ich auf einen Anruf von ihr wartete. Mishi Bizhi, Missabikong-kwe, das kleine eiserne Mädchen sollte sich endlich melden, tat es aber nicht.

16
    Dass der Herr Doktor bereits auf mich warte, sagte die Ordinationshilfe. Es sei lediglich das Bürokratische zu erledigen, was wahrscheinlich nicht so einfach sein werde, sie habe keine Erfahrung mit amerikanischen Krankenversicherungen. Nach diesem Satz lächelte sie das erste Mal, es sah sehr unecht aus. Kanada, sagte ich, wie bitte?, sagte sie, nichts, nichts, sagte ich und legte ihr die grüne Versicherungskarte hin. Oh, sagte sie, sie haben eh eine E-Card. Ich bin Österreicher, sagte ich. Dann ist es ja kein Problem, sagte sie und führte mich gleich in einen Behandlungsraum. Die vielen anderen Patienten auf den Stühlen im Wartezimmer sahen mir mürrisch nach.
    Bodinger kam nach wenigen Minuten. Er wusch sich ausgiebig die Hände und begrüßte mich überschwänglich, obwohl wir uns in den acht Jahren am Gymnasium nicht nahegestanden waren und danach, abgesehen von den alle fünf Jahre stattfindenden Maturatreffen, nie Kontakt gehabt hatten. Ob ich schon lange nicht mehr bei der Zeitung in Wien arbeite, fragte er, bevor ich antworten konnte, sagte er, dass es ihm ohnehin schon vor etlichen Jahren aufgefallen sei, dass keine Beiträge mehr mit meiner Autorenzeile erschienen seien.
    Was führt dich her?, fragte er, ich deutete auf den Rücken. Sehr seltsame Schmerzen. Als sei der ganze Brustkorb und auch der Bauch irgendwie verknöchert. Eine große Steifheit habe sich meiner seit mehreren Tagen bemächtigt, im Normalbetrieb sei es nicht so schlimm, aber beim Aufstehen käme ich kaum aus dem Bett. Ich muss mich richtiggehend von der Matratze rollen, damit ich neben dem Bett zum Knien komme, dann erst kann ich aufstehen, sagte ich. Und das Rückwärtsfahren mit dem Auto sei praktisch unmöglich, ich schaffe es nicht mehr, Kopf und Nacken so weit zu drehen, dass ich durch die Heckscheibe schauen kann.
    Oberkörper freimachen, sagte er. Ich zog das Hemd und das Unterleibchen aus. Bodinger grinste. Immer noch no sports, was?, sagte er. Da kann ich nicht lachen, sagte ich. Turnen hatte ich am meisten gehasst, mehr noch als Mathematik oder Latein. Die größte Qual war das Fußballspielen gewesen. Wenn es das Wetter erlaubte, fand der Turnunterricht im Freien statt. Nach einer Viertelstunde Kugelstoßen und Weitspringen und Schlagballwerfen und dem obligaten Vier-Kilometer-Lauf entlang der Donau bestand der Rest der Doppelstunde aus Fußball.
    Ein Strafgericht für uns, die Unsportlichen, das begann mit der Demütigung, bei der Wahl der Mannschaften mit der allergrößten Regelmäßigkeit unter den letzten drei oder vier zu sein, die ausgewählt wurden. Die Sportlichen von der Mehrheit brüllten uns von der vierköpfigen Minderheit an, wenn wir falsch passten, gegnerische Angreifer nicht stoppten, den Ball ins Aus kickten. Sie, die Freude und Begeisterung für Fußball aufbrachten und das Spiel beherrschten, waren die Normalen. Wir anderen waren die Deppen. Jahrelang.
    Etwas besser wurde es mit fünfzehn oder sechzehn, da wurden andere Sachen wichtiger, Mädchen, Bier trinken, rauchen, nachts über das Flachdach des Wirtschaftstrakts aus dem Internat flüchten und sich im örtlichen Wirtshaus besaufen. Die Fußballspiele, zweimal wöchentlich das ganze Frühjahr lang und im Herbst bis in den November hinein, verloren ihren Schrecken. Denn jetzt rotteten wir drei oder vier Unsportlichen uns zusammen und stellten uns als zurückhängende Außenverteidiger in jene Ecke des Spielfelds, die am weitesten vom Turnlehrer entfernt war, und rauchten ein paar Dames, die Zigarette in der hohlen Hand verborgen, wie es Sträflinge tun und Seeleute.
    Manchmal toste das Spiel nahe an uns vorbei, wir gingen den mit verbissenem Ernst stürmenden und verteidigenden Mitschülern aus dem Weg und grinsten uns wissend an: Jetzt waren sie die Deppen. Dann hielten wir Ausschau, wo sich Professor Sturmbannführer befand, und zündeten die nächste Dames an.
    Das zweitmächtigste Folterinstrument waren

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