Das leere Land
Feind war, immer schon.
Die Erbauer dieses Denkmals hatten subtil zwischen den Kriegern ihres Heimatorts unterschieden. Zeiselmauer – seinen Kämpfern im Weltkrieg 1914–1918, stand auf einer Tafel am Sockel, darüber eine zweite Tafel. 1939–1945, Unseren Helden gewidmet! Unsere Helden nennt Zeiselmauer nur die Kämpfer, die für Hitler verreckt waren. Ich notierte die Inschriften, sagte mir dabei vor, endlich damit aufzuhören, überall latenten Faschismus zu wittern.
Barfuß ging ich zur porta principalis dextra. Das östliche Haupttor des Römerlagers zu Zeiselmauer. Wenn Giese recht hat, musste der Heilige Mann hier hineingeschritten sein, in sein erstes Wunder, in die Geschichte Eugipps, in seine überragende Bedeutung für Niederösterreich und Oberösterreich.
Vor mir öffnete sich eine mächtige römische Mauer zum Tordurchlass, lässt Giese seinen Ich-Erzähler Severinus sagen. Wahrscheinlich war Giese nie in Zeiselmauer. Denn das Tor befindet sich nicht in einer Mauer, sondern in einem gewaltigen, vier Stockwerke hohen quadratischen Turm, einem der größten vollständig erhaltenen römischen Gebäude Österreichs, das die Zeiselmaurer Körnerkasten nennen. Weil die Bauern im Mittelalter hier ihre Getreidevorräte lagerten. Auf einem Anbau aus dem zwanzigsten Jahrhundert hing eine Hausnummer mit der heutigen Adresse des Körnerkastens. Passauerplatz 4.
Der Kies und das räudige Gras vor dem Turm waren eiskalt. Ich trippelte hinüber zu dem, was vom Römertor noch zu sehen war. Das Tor war zugemauert. Die unteren zwei oder drei Meter des Turmes sind im Laufe der Jahrhunderte versunken, das heutige Bodenniveau reicht beinahe bis zum ersten Stockwerk. Vom Tor ist nur noch der obere Abschlussbogen erkennbar. Ich stand kurz davor, berührte die Steine, versuchte, Ziegelbrocken aus dem Putz zu brechen. Es gelang mir nicht. Fest und hart nach tausendsechshundert Jahren. Beste römische imperiale Qualitätsarbeit. Schräg vor dem Tor standen zwei alte Kastanienbäume nahe beieinander. Ich hob eine Kastanie auf und steckte sie in die Tasche. Mein Zeiselmaurer Severinus-Souvenir.
Dörfler ist es offensichtlich zuwider, den Namen Asturis zu nennen und nicht erklären zu können, worum es sich dabei handelt. Nun war Severin in dem Land, das ihm gegeben war, so hebt bei dem Priesterdichter jener Teil der Vita an, der auf österreichischem Boden spielt.
Mit von der Kälte schmerzenden Fußsohlen ging ich über einen engen Schotterweg zwischen der Westwand eines Siedlungshauses und dem Bretterzaun des nächsten Einfamiliengrundstücks hinüber zum Fächerturm. Laut Inschrift war es der nordöstliche Eckturm des Hilfstruppenlagers gewesen. Eine Joggerin, die ein Kleinkind in einem dreirädrigen Kinderwagen mit großen Mountainbike-Reifen vor sich her schob, nickte im Vorbeilaufen einen Gruß. Ich fragte sie, ob sie mich fotografieren würde. Sie blieb stehen, ließ sich die Kamera erklären. Dann stellte ich mich an den Zaun, das halb verfallene Bauwerk im Hintergrund, und wartete, bis sie abgedrückt hatte.
Sie lief weiter. Gegenüber dem Fächerturm baute gerade jemand ein Flugdach vor seiner Garage. Wahrscheinlich wollte er nicht mehr jeden Winter immer wieder den Platz freischaufeln müssen, um frühmorgens mit dem Auto zur Arbeit fahren zu können. Das blecherne Flachdach ruhte auf sechs Betonsäulen, hoch und schlank, in den gleichen Hellbraun- und Ockertönen wie der Mörtel an Fächerturm und Körnerkasten.
Zurück im Auto zog ich Socken und Schuhe wieder an, meine kalten Zehen schmerzten bei jeder Berührung. Ich fuhr über Römergasse und Augasse Richtung Donau. Am Ortsende stellte ich den Wagen auf dem Schotterfeld vor dem Tennisplatz ab und ging zurück zur Ortstafel. Ich stellte mich davor auf, hielt die Kamera mit ausgestreckten Armen hoch und fotografierte mich selbst. Auf dem Display war mein Kopf angeschnitten, die Aufschrift Zeiselmauer war zur Gänze drauf auf dem Bild. Gut. Abspeichern.
An der westlichen Ortsausfahrt kehrte ich ein in einem Wirtshaus namens Römerstube und trank ein Bier. Es sollte mein letztes sein. Das wusste ich da aber noch nicht.
15
Wer wegläuft, den fürchten die, die dableiben. Und zugleich bewundern sie ihn. Schrieb Kohl, mit einer Mischung aus Unglauben und leichter Sensationslust, als sie ihm die Geschichte von Missabikong erzählten. Eisenjunge. Hart und zäh und unverletzlich. Und Fresser von Menschenfleisch, flüsterten sie in den Erdhütten in den
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