Das leere Land
überschaubar wie möglich halten?
Ich markierte die Passage mit einem dicken Strich an der linken Seite, schrieb darunter: Keine Chance für den Aufsatz. Bring es unter im Gegenbericht! Dann strich ich die Anmerkung gleich wieder durch. Ein derartiger Gegenbericht wird keine Öffentlichkeit finden. Das Dorf als einengender Schauplatz von Unterdrückung und Kontrolle ist ein abgelutschter und aus der Mode gekommener literarischer Ort. Denk dir lieber etwas aus, das Fingerreisen im Atlas und Fußball mit Sisi und Kriemhild zusammenbringt, das mag das Feuilleton.
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Wo mag dieser Burgus sein? Viele haben gesucht, niemand hat gefunden. Ich war in Mautern, das Museum war geöffnet, einen ganzen Tag lang hatte ich mir Zeit genommen. Ich suchte den Burgus nicht, die Einsiedlerklause des Severinus. Es interessierte mich nicht. Die angebliche Klostergründung des angeblichen Wundertäters Severinus in Favianis, Mautern, ist nichts anderes als ein regionales Beispiel für das, was die römische Kirche im gesamten Imperium tat in jenen bewegten Jahren. Sie versuchte, das Untergehen des Staatswesens, das sie für ihren Aufstieg benutzt hatte, unbeschadet zu überstehen. Und zwar dadurch, dass sie die Agenden und Aufgaben dieses Staatswesens übernahm und damit dessen Macht. Was Eugipp ein Kloster nennt, das der Laie Severinus in Mautern gegründet hatte, war in Wahrheit das informelle Zentrum der norischen Verwaltung und Politik und Diplomatie, das im Gegensatz zu den römischen Strukturen, die in unaufhaltsamer Auflösung begriffen waren, noch einigermaßen funktionierte.
Darum wohl ist der Bericht von dieser Mauterner Klostergründung in Eugipps Erzählung nur eine einzige Zeile lang. Er fügte sich den Befehlen Gottes und errichtete nicht weit von der Stadt entfernt ein Kloster. Das ist es. Interpreten haben sich mit dieser Sache immer schwer getan, weil sie Fragen aufwirft. Vor allem die eine: Wie konnte ein Mann, der weder geweihter Priester noch Mönch war, ein Kloster gründen, Mönche um sich sammeln, den Amtsträgern der offiziellen römischen Kirche Anweisungen erteilen, den ihm untergebenen Klosterbrüdern eine Art Ordensregel geben?
Ich hielt mich nur kurz auf im Römermuseum von Mautern. Die Überfülle von Vasen und Schalen und von Rost überzogenen Messerklingen und Schwertklingen ermüdete mich umgehend. Auf den Tafeln waren die Hinweise zum Heiligen Mann eher spärlich. Ich fragte die Dame an der Kasse, ob man hier in Mautern eine Vorstellung habe, wo sich die Einsiedelei des Severinus befunden habe. Sie verwies mich an die bei ihr erhältlichen Bücher und Broschüren, darin könne ich eventuell etwas finden. Draußen blieb ich eine Weile stehen vor einem Eisengatter, das den Weg versperrte. Am wasserfleckigen Verputz der Mauer daneben hing eine Mönchskutte, aus Kupfer geformt, voller Grünspan, wie wenn der Inhaber dieser Kutte sie an einen Haken gehängt hätte vor der Bettruhe. Daneben lehnte ein Pilgerstab an der Wand, ebenso Kupfer, wie auch eine Bibel, die seitlich an einen großen quadratischen Stein geschraubt war.
In der fleckigen Mauer war eine Reihe von Blindfenstern eingelassen, ausgekleidet mit weißen Steinplatten, die rötliche eingemeißelte Inschriften trugen. Noch bist du in schäbiges Fell gehüllt, aber bald wirst du viele Leute reich beschenken. Das hatte der Heilige Mann dem Odoaker prophezeit, dem späteren ersten germanischen Cäsar, hier in Mautern. Lasst die herein, denen ein Bär den Weg gewiesen hat, stand in einem anderen Fenster. Das Bärenwunder. Ein Kleidertransport aus Binnennoricum, also aus Kärnten, war in den tief verschneiten Alpen stecken geblieben, die Ufernoriker drohten zu erfrieren. Severinus aber tröstete; ein wildes Tier werde auf Geheiß Gottes Rettung bringen, sagte er voraus. Und siehe da: Die Lastenträger sahen einen mächtigen Bären, der sich eine breite Spur bahnte durch die ungeheuren Schneemassen in Richtung Norden. Sie nutzten den vom Bären ausgetretenen Weg als Saumpfad, unbeirrt stapfte das Tier ihnen voran über die Alpenpässe, und hinunter zur Donau, bis vor die Pforte des Klosters zu Mautern, besagt die Legende.
Eigentlich wollte Severinus ein beschauliches Einsiedlerleben in den Weinbergen bei Mautern führen, berichtet Eugipp, und deutet einmal mehr an, dass der Heilige Mann dies bei den Einsiedlermönchen im Nahen Osten gelernt habe. Welche kurze Information feurige Diskussionen um den Seher von Noricum und seine Herkunft über die
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