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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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hätte.

29
    Mishi Bizhi Trixi bat nicht, sie ordnete an. Abholen in Aschach, so bald wie nur möglich. In einer Stunde, sagte ich. Gut, sagte sie. Und dass ich gegenüber diesen riesigen Raiffeisentürmen in der Wiese zwischen Bundesstraße und Donau anhalten sollte, kurz vor Aschach, wenn man von Linz kommt, sie würde dann gleich da sein. Es ist eine Rapsölanlage, sie machen Diesel aus Pflanzen, sagte ich, sie ignorierte mich. Du kriegst dein Geld zurück, sagte sie, wiederholte Zeit und Ort und legte auf.
    Sie kam aus den struppigen dreckigen Büschen am Zaun der Rapsölanlage gesprungen, mehr denn je sah sie aus wie ein Luchs, aber ein abgemagerter, räudiger, einer, der seinen Kampf um ein bisschen nackte bloße Existenz schon verloren hat und nur noch weiterläuft, weil noch nicht alle Energie verbraucht ist. Sie sprang in den Beifahrersitz, krümmte sich irgendwie unnatürlich zusammen. Dreckig und abgerissen schien alles an ihr, obwohl ihre Kleider sauber waren.
    Gehetzt. Geduckt. Nur ihre Augen, in denen war das Wilde. Deine Nscho-Tschi-Träumerei geht mit dir durch, dachte ich, in Nordamerika drüben faszinieren dich die Indianer, weil sie dir das bieten, was du selbst nicht bist, Wildheit, das Ungestüme, Ungeschlachtheit, Rohheit. Das Ungezähmte. Es ist aber eine Illusion, im Falle der Indianer, die man nicht Indianer nennen darf, First Nations heißt das, besonders die Stämme in Kanada sind da sehr empfindlich. Als ich das erste Mal in Gegenwart von Indianern das Wort Indianer verwendet hatte, war es eine junge Frau gewesen, die mich böse angefaucht hatte: Dieses Land ist nicht Indien. Seit sich in Kanada immer mehr Immigranten aus Indien herumtreiben, sagte mir ihr Begleiter später bei einem Bier, hassen wir es noch mehr, als Inder bezeichnet zu werden.
    Und im Falle von Trixi ist es ebenfalls eine Illusion, ich möchte sie haben als blutjunge Marie Versini, weich und sanft und in samtiges Rehleder gehüllt, das warm ist von ihrem bronzefarbenen Körper, möchte, dass sie flüstert Anika ti matan, weißt du, ich liebe dich, in der Tinde-Sprache, oder vielmehr im Harald-Reinl-Indianisch, wie es Marie dem Lex Barker ins Ohr gehaucht hat im Moment des Todes. Und zugleich will ich in ihr die gejagte Asylantin sehen, die gehetzte Fremde, deren von Anfang an aussichtsloser Kampf gegen die Übermacht von einer wachsenden Schar Angehöriger des Volkes ihrer Verfolger mit Faszination und anschwellender Sympathie verfolgt wird.
    Ein weiblicher Gokhlayeh sollte sie sein für mich, Einer Der Gähnt, den wir kennen als Hieronymus, Der Mit Einem Heiligen Namen, Geronimo auf Spanisch. Nach dem Kirchenvater aus dem schönen Dalmatien, dem Schutzpatron der Übersetzer, benannten ihn die Mexikaner und Amerikaner, die vergeblich versuchten, ihn im fairen Kampf zu besiegen. Dessen Mut den Siegern so sehr imponierte, dass ihre Fallschirmjäger seinen Namen im Krieg gegen die Deutschen, im zweiten, als Kampfschrei verwendeten. Und dass sie einen Hubschrauber nach seinem Volk benannten, zweisitzige tödliche Waffe für den Einsatz gegen gepanzerte Fahrzeuge.
    Einen Hubschrauber werden sie nach deinem Volk nicht benennen, Trixi, oder wie immer du heißt, nicht in Österreich, hier verwandelt man die Namen von Feinden und Opfern bestenfalls in Trademarks für Mehlspeisen und Fleischgerichte, und das frühestens nach Jahrhunderten, dann delektiert man sich am Türkenspieß oder dem Mohr im Hemd.
    Dir ist klar, dass ich das wegen dem Geld nur gesagt habe, damit du sicher kommst, sagte sie. Ich nickte, lächelte sie an, fragte, ob sie wieder welches brauche. Sie senkte den Kopf noch tiefer, schüttelte ihn dabei unmerklich. Aus ihrem linken Pulloverärmel hing ein dünner weißer Fetzen, den sie dauernd zwischen den Fingern drehte. Als sie bemerkte, dass ich den Lappen anstarrte, den grauen Rand, die braunroten Flecken, stopfte sie ihn zurück in den Ärmel.
    Was ist das, versuchte ich so belanglos wie möglich zu sagen.
    Nichts.
    Bist du verletzt?
    Geht dich nichts an.
    Vorsichtig griff ich nach ihrem Handgelenk, überraschend warm war ihre blasse Haut, ich sah ihr ins Gesicht, da war nichts zu sehen, kein Hinweis, ob sie die ungefragte Berührung störte oder nicht, darum schob ich den Pulloverärmel ein wenig hoch. Eine Gazeverband, mehr grau als weiß, Schlieren drauf, stellenweise von blassem Braun, dann mehr rosa. Sie zog die Hand langsam weg.
    Wer war das?
    Kennst du nicht.
    Was haben sie dir getan?
    Nichts.
    Hast du

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