Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
Vom Netzwerk:
Resorptionsverzögerer, Inkretin-Mimetika, Exenatide, DPP -4-Inhibitoren, Sitaglipin. Ich sah eklige Fotos von Füßen, an denen zwei oder drei Zehen fehlten, die Haut von Vorfuß und Unterschenkel blau und rot und beulig oder geschwärzt und wie angenagt von kleinen Tieren.
    Bei den Seiten zum Thema diabetesbedingter ED war meine Schmerzgrenze erreicht. ED , das ist die erektile Dysfunktion. Das Unvermögen, den Beischlaf befriedigend auszuführen. Der Schlappschwanz. Weil alles wie von Zuckerkristallen überkrustet ist in dem guten Stück, versteift es sich nicht ausreichend oder, wenn doch, für eine zu kurze Dauer. Irgendwo erörterten sie lustvoll die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten. Die bewährten PDE -5-Hemmer. Die nebenwirkungsarme Vakuumpumpe, mittels derer Blut in den Penis gepumpt wird. Die Penisprothese als der Weisheit letzter Schluss, nicht unumstritten, da bei dieser Methode die Schwellkörper des Originals unwiederbringlich entfernt werden.
    Ich trennte die Verbindung zum Netz. Das Gefühl, erdrückt zu werden, war unerträglich. Das Gefühl, an ein Ende gekommen zu sein. Das Gefühl totaler Überforderung, weil eine unheimliche neue Welt sich aufgetan hatte für einen Augenblick, eine Welt mit einer eigenen Sprache, eigenen Verhaltenskodizes, eigenen Gesetzen, eigenen Hierarchien. Eine eigene Religion, mit Fundamentalisten, Päpsten, Abweichlern, Häretikern. Und natürlich mit Verschwörungstheorien. Bodinger gab mir recht, Tage später. Halte dich fern vom Internet, wenn es um Krankheiten geht, grinste er. Es verstört dich nur.

27
    Ein sehr seltsames Gefühl war es, im Kinderzimmer zu sitzen, an dem Tisch, wo ich die Hausaufgaben gemacht hatte, vor mir der Jugendzimmerwandverbau, hinter mir das alte, schmale Bett. Oder nachts ins Wohnzimmer zu gehen, sobald sie schlief, fernzusehen, bei niedriger Lautstärke, wie damals, um sie nicht zu stören. An der anderen Seite der Wand, an der das TV -Gerät stand, war gleich das Elternschlafzimmer. Der alte Globus in der Vitrine, kurze Zeit war er von innen zu beleuchten gewesen. Bei abgeschaltetem Licht sah man das geografische Bild der Erdkugel, bei eingeschaltetem das politische. Viele Staaten, die da verzeichnet waren, gab es nicht mehr, dafür viele neue, die damals nicht existiert hatten. Man konnte die alte Welteinteilung auf dem Familienglobus jedoch nicht betrachten. Die Lampe war nach einem halben Jahr schon kaputt gegangen und ließ sich nicht mehr reparieren.
    Der Schulatlas im Bücherregal. Als Kind, kaum des Lesens kundig, war ich lange über den bunten Seiten gesessen und hatte meine kleinen Streifzüge durch die heimatliche Geografie ausgedehnt und ausgeweitet auf mehr, immer mehr. Immer hatte ich nur weggewollt. Die real vorgenommenen Bewegungen weg vom Dorf waren nur ganz kleine gewesen, sommerliche Ausflüge von der fliegenden Brücke in Ottensheim bis zum Ofenwasser an der Gemeindegrenze zu Alkoven. In der imaginierten Welt des Schulatlas waren es größere Streifzüge gewesen, auf der Seite mit dem Bezirk Linz-Land setzte ich den Finger auf Linz und fuhr langsam nach Osten, Enns, in der Gegenrichtung Kirchberg/Thening, dann die Oberösterreichkarte, Grein, Saxen, alles auf der anderen Seite der Donau, das war am weitesten im Osten. Und in der Gegenrichtung Passau, Braunau, St. Pantaleon.
    Und ich reiste mit der Fingerkuppe in unbekannte Orte auf der Atlasseite Österreich, und in immer unbekanntere, je größer der Maßstab wurde. Dann schaffte mein Vater zugleich mit seinem ersten Auto, ein Audi war es gewesen, einen Autoatlas an, Shell, Europa, und auf einmal öffnete sich eine neue Welt, eine ungleich befriedigendere. Denn hier hatten plötzlich die Straßen Namen, Namen, die ich kannte. Gleich neben dem Ortsende-Schild draußen beim Lagerhaus stand die blaue Tafel mit der Bezeichnung B 129. Im Autoatlas hatte die Straße zwei Namen, B 129 und E 5, Bundesstraße 129 und Europastraße fünf.
    Im Dorf hatte sie einen dritten Namen. Nibelungenstraße. Hier sei Herr Hagen vorbeigezogen, raunte der Volksschuldirektor, eigentlich Beschützer, in Wahrheit aber auserwähltes Opfer der vor Rachedurst bebenden Kriemhild auf ihrem Weg zum hunnischen Brautgemach in Bechelarn. Sie passierten Eferding, das sei verbürgt, wie auch der eine Nacht währende Zwischenaufenthalt der blutjungen Sisi in Gstocket verbürgt sei, das bayerische Prinzesschen hat eine Nacht lang geschlafen im gräflichen Anwesen in den

Weitere Kostenlose Bücher