Das leere Land
keinen grünen Zweig, konnten uns nicht einmal einigen in der Frage, ob der Heilige Mann und seine Gemeinden im Noricum der Völkerwanderungszeit im strengen Sinne katholisch gewesen waren. Man kennt das ja, streng genommen waren die Christen der italischen Provinzen nicht mehr als Angehörige des Patriarchats Rom, das gleichberechtigt und unzerstritten mit den vier Patriarchaten von Jerusalem, Antiochien, Alexandrien und Konstantinopel die Christenheit bildete.
Der Sprecher meiner Auftraggeber hing der Theorie an, dass die eine, heilige, apostolische und katholische Kirche in ihrer vollen Wirklichkeit, also der Katholizismus, spätestens mit dem Nicänum, also der Erhebung des Christentums in den Status einer Staatsreligion durch Kaiser Konstantin dem Ersten im Jahre 325 angehoben habe. Genau genommen, sagte er dann, sei aber der Gemeinschaftsbund der Apostel von jenem Augenblick an, als der Heilige Geist in Engelszungen über ihn gekommen sei, also ab dem erstmaligen Ereignis dessen, was wir Pfingsten nennen, die Eine Heilige Katholische Kirche gewesen. Er räumte ein, dass dies allerdings auch die orthodoxe Kirche für sich beanspruche. Ich neigte eher zu der Annahme, dass im allerfrühesten Falle ein gewisser Siricius der erste katholische Papst gewesen sei, weil er der Erste gewesen war, der für sich selbst diese Bezeichnung gewählt hatte; man müsse daher die Gründungsstunde dieser kämpferischen dominanten Richtung des Christentums mit Siricius’ Amtsantritt im Jahre 384 annehmen. Noch lieber war mir die Annahme, dass die römisch-katholische Kirche erst seit der Trennung von der Orthodoxie als solche zu existieren begonnen habe, also beinahe sechshundert Jahre später.
Er kenne da einen Religionssoziologen in Salzburg, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber schließlich, der sich im Laufe eines langen arbeitsreichen Lebens im Selbststudium zu einem Kirchenhistoriker ersten Ranges ausgebildet habe, der sei der richtige Mann für derartige Fragen, den möge ich kontaktieren. Minuten später schon rief er mich wieder an und teilte mir einen Termin mit, am nächsten Tag, gegen elf Uhr, Café Tomaselli in Salzburg. Gut, sagte ich, er beschrieb den Privatgelehrten, damit wir uns erkennen könnten, dann redeten wir noch eine Weile über Fragen der Formatierung meiner Texte.
Im Falle von Aufstieg und Fall des Arianismus war es wie immer in Religionsdingen die weltliche Macht, die festlegte, was die Menschen zu glauben hatten und was nicht. Die von Gott und Glauben und Religion trunkenen Kirchenmänner trugen ihren dreiphasigen Großen Arianischen Streit aus mit wilder Leidenschaft. Aus dem ersten ökumenischen Konzil von Nicäa gingen die Lehren des Arius zwar nicht legistisch, aber de facto trotz eines gegenteiligen konziliarischen Schlussdokuments als amtlich-institutionelle Religion hervor. Ein halbes Jahrhundert später, nach dem Konzil von Konstantinopel, erhob Kaiser Theodosius der Erste die Weltsicht der erbittertsten Gegner der Arianer, also jene der Trinitarier, per Gesetz zum verbindlichen Kanon für die Christenheit. Die Idee der Dreifaltigkeit stieg auf in den Glanz der Gesetzeskraft, jenes seltsame Konzept, das bis heute die christlichen Priester so heuchlerisch klingen lässt, wenn sie anheben zu ihren Lobgesängen auf den einen wahren Gott.
Salzburg war eine Qual wie immer. Die Getreidegasse zu überqueren war beinahe so eine Plage wie das Durchschwimmen der Donau in Kindheitstagen, nur dass wir uns damals als Lohn für das kilometerweite Schwimmen am Nudistenstrand oberhalb Ottensheims vorbeitreiben ließen und beinahe absoffen wegen all der Brüste und Ärsche und Scheiden, die da in der Sonne lagen, trotz der Kälte des Wassers wurden die Schwänzlein der beinahe noch kindlichen Schwimmer steif, und ihre Händchen vergaßen zu schwimmen. In der Getreidegasse ist der Lohn für das Dutzende Meter in Anspruch nehmende Durchqueren des Touristenstroms, dass du vom mit einer Nobelfassade getarnten McDonald’s vor die genauso kitschige Fassade des Mozart’schen Geburtshauses gerätst.
Trotz der späten Jahreszeit war das Tomaselli gedrängt voll, wegen des warmen Wetters war es unmöglich, auf der Terrasse im ersten Stock, mit dem Blick auf den Residenzplatz, einen einzigen freien Sitzplatz zu finden. Ich sah mich suchend um, so auffällig, dass es der Religionssoziologe bemerken müsste. Niemand reagierte, es sah auch niemand seiner Beschreibung ähnlich. Ich setzte mich an einen der
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