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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Version, die mir wahrscheinlicher erschien. Es war Politik. Ich tippte ans Ende des Word-Dokuments: Es ist immer die Politik, Dummchen!

31
    Wenn ich ehrlich bin, hatte es mich überrascht, das kaputte Kind noch im Auto vorzufinden am nächsten Morgen. Ich hatte meinen Kram so früh wie möglich in eine Umhängetasche gepackt, meiner Mutter erklärt, dass ich den ganzen Tag weg sein würde, Passau und Innstadt, die Ausgrabungen besichtigen, und war hinübergegangen zum Parkplatz vor dem Reha-Zentrum. Sie war wach, hatte die Rücksitze bereits hochgeklappt, und hantierte am Radiogerät. Dass sie versucht habe, vor dem Einschlafen Musik zu hören, es aber nicht geschafft habe, maulte sie.
    Es ist einfach, sagte ich, schaltete das Autoradio an.
    Radio interessiert mich nicht.
    Dann spiel CD s.
    Hab ich nicht.
    Du kannst meine spielen.
    Ich holte die CD s und den Rest aus der Tasche, verstaute sie im Handschuhfach und auf der Ablage. Sie sah meine CD s durch, da ist nichts dabei, sagte sie. Ich steckte den Minidiscplayer an den FM -Transmitter, suchte eine unbenutzte Frequenz am Radio. The Freewheelin’ Bob Dylan . Sie grinste schief.
    Ich fahre jetzt nach Passau, sagte ich.
    Passau ist gut. Ich komme mit.
    Gut, sagte ich, und lud sie zu einem Frühstück ein. Fahren wir als Erstes nach Schlögen, zum Motorboothafen. Das Hotel Donauschlinge. Die haben ein gutes Restaurant. Sie nickte. Dann rollte sie sich zusammen im Beifahrersitz und schlief bis weit nach Eferding.
    In Schlögen haben sie den Heiligen Severinus nur ausgelacht und haben bitter bezahlt dafür, sagte ich, als sie sich nach einer halben Stunde wieder gerade setzte und ihren mageren Körper streckte. Ich holte aus, erklärte ihr, dass der Heilige Mann in seinem Kloster zu Mautern einen Sänger gehabt hatte, einen gewissen Moderatus, wie jüdische Gemeinden einen Kantor haben, diesen Sänger schickte Severinus zum römischen Donauflottenstützpunkt Ioviaco, der in der Gegend des heutigen Schlögen gelegen war. Der Seher Noricums hatte eine Offenbarung gehabt, dass ein Angriff des Germanenstamms der Heruler auf den Kriegshafen unmittelbar bevorstünde.
    Verstehst du, sagte ich, die Heruler waren Verbündete der Rugier, mit denen wiederum stand der Heilige Mann in bestem Kontakt, die hatten ihn gewarnt vor den Absichten ihrer im heutigen Tschechien und der Slowakei lebenden Kumpane, so sieht das aus mit den Offenbarungen. Trixi sah gelangweilt aus dem Seitenfenster.
    Moderatus übermittelte den Befehl des Severinus, Ioviaco habe umgehend geräumt zu werden. Die Schlögener lachten nur. Severinus sandte einen weiteren warnenden Boten, einen Mann aus Künzing, der sollte zumindest den Pfarrer von Schlögen, einen gewissen Maximinianus, dazu bewegen, noch in dieser Nacht seine Gemeinde zu verlassen und nach Lorch oder Mautern zu flüchten, die noch halbwegs sicher waren. Doch Maximinianus lachte ebenfalls nur, doch nicht lange. In dieser Nacht noch fielen die Heruler über den Flottenstützpunkt her, verwüsteten den ganzen Ort, schleppten die Bewohner in Gefangenschaft und Sklaverei. Und Pfarrer Maximinianus, den hängten sie auf am Patibulum, dem römischen Galgen, der aus einem gegabelten Stamm bestand.
    Trixi grinste, mit einem Zug von Verachtung, und spielte mit meinem MP3 -Player auf der Ablage über dem Tachometer. Was da für Musik drauf sei, fragte sie.
    Ich benutze es eigentlich als Diktafon, sagte ich, wenn mir eine Idee kommt. Oder für Interviews.
    Du hast ja keine Kopfhörer, sagte sie.
    Warte, sagte ich, trennte den Minidiscplayer vom FM -Transmitter, steckte den MP3 -Player an. So, jetzt.
    Aus den Lautsprechern des Autoradios läutete eine Glocke, dreimal. Linz, sagte ich. Die Stadtpfarrkirche. Pfarrplatz. Dann meine Stimme aus den Boxen: An der südlichen Außenwand der Kirche auf dem Pfarrplatz befindet sich dieses seltsame Kindergesicht als Steinrelief. Ein feines, zartes Knabenantlitz, wenn du es von rechts betrachtest. Ein irgendwie aus den Proportionen geratener Totenschädel, wenn du es von links betrachtest. Von vorne ein Schrecken, wenn man nach ein paar Augenblicken merkt, was man da anschaut. Früher verdeckte der Würstelstand der Frau Salzer die Fratze. Heute starrt das Steingesicht schamlos auf diesen irgendwie nackten, unentschlossenen Teil des Pfarrplatzes.
    Ob Johann Georg Kohl wohl auch vor diesem zur Hälfte von Haut und Fleisch befreiten Kinderantlitz gestanden ist, 1842, als er seine Reise von Linz nach Wien absolvierte? Ja,

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