Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
Vom Netzwerk:
ich.
    Wahrscheinlich hat es diese Heather gar nicht gegeben, sagte sie. Ich schwieg. Du quälst dich gerne selbst, oder?, fragte sie.
    Sie ist ein paar Jahre nach dem Gelben gestorben, sagte ich. Er hat sie wohl angesteckt. Oder war es einer von den anderen Typen, mit denen sie –. Ich weiß es nicht. Es macht mich traurig. Wie jung sie war. So jung, so jung.
    Neulich habe ich im Fernsehen gesehen, sagte Trixi, wie kommst du zum Fernsehen?, unterbrach ich, noch während ich sprach, fiel mir ein, dass sie derartige Fragen nie beantwortete, neulich habe ich im Fernsehen gesehen, dass Rotkehlchen in der Natur eineinhalb Jahre alt werden, fuhr sie fort. Aber wenn du sie im Käfig hältst und immer schön fütterst, werden sie fünfzehn Jahre alt.
    Schön, sagte ich.
    Wenn du es dir aussuchen könntest, sagte sie, möchtest du fünfzehn Jahre im Käfig leben oder eineinhalb Jahre in der Natur?
    Ich bin kein Rotkehlchen.
    Ich auch nicht. Aber ich weiß es.
    Du bist raus aus deinem Käfig, oder?, fragte ich nach einer Pause, aber das sieht nicht gut aus. Es macht dir Angst da draußen. Wie du dauernd um dich schaust, wie du nie sicher bist, ob dich nicht jemand erkennt, der dein Foto in der Zeitung gesehen hat, oder im Fernsehen. Sie tat so, als verstünde sie nicht. Ich sagte, dass sie mir nichts vorzumachen brauche.
    Da begann sie mir eine Pantomime vorzuführen, sie wetzte herum in ihrem Sitz wie die durchgedrehte Karikatur eines Flüchtlings, mit gehetzter Angst in den Augen, den Kragen des Pullovers hochgezogen bis zur Nase, damit man sie ja nicht erkennen konnte, schnorrte mich um eine Zigarette an mit gespielter Demut in ihrem Blick, hinter der aber der ganze Hass flimmerte, der Hass des Bettlers auf den, den er anbettelt. Das Vorspielen einer gejagten Untergetauchten geriet ihr so echt, dass sie mittendrin aufhörte. Weil es sie selbst erschreckt hatte, dachte ich. Und wusste, dass das nicht stimmte. Es hatte mich erschreckt, das hatte sie bemerkt, und darum hatte sie aufgehört.
    Schlögen, das ist, wo die Donau diese Schlinge macht, oder?, fragte sie nach langem Schweigen. Ja, sagte ich. Wir müssten bald dort sein. Macht es dir was aus, wenn ich was anhöre?, sagte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, steckte sie ihren MP3 -Player an den Transmitter an. Eine seltsame, traurige Musik ertönte, die ich nicht kannte.

32
    Das Wasserluchsweibchen hatte angekündigt, sich umzubringen, berichteten die Zeitungen. Alle waren sie voll davon. Ihre Mutter hatte im Briefkasten ein Schreiben der untergetauchten Fünfzehnjährigen gefunden. Wenn es keine Möglichkeit gibt für mich und meine Familie, habe sie geschrieben, werde ich mich sicher nicht der Polizei stellen. Derzeit befinde sich die Mutter im Krankenhaus, sie habe einen totalen Nervenzusammenbruch erlitten nach dieser anonymen Ankündigung ihrer Tochter.
    Der Innenminister gab keinen Kommentar ab. In Oberösterreich schwappe eine Welle von Sympathie und Verständnis für die Verfolgte und Empörung der Bürgergesellschaft wegen der Eiseskälte des Staates hoch, schrieb der Kolumnist der lokalen Tageszeitung. Überall traten Nachbarschaftsgruppen an die Öffentlichkeit, die von der Politik forderten, gut integrierte Asylantenfamilien, die in bester Nachbarschaft mit den Einheimischen in verschiedenen Dörfern lebten, nicht abzuschieben. Selbst regierungsfreundliche Medien gingen immer gröber mit dem Minister um, ziehen ihn der Hartherzigkeit und Versteinerung oder zumindest eines ungeschickten Umgangs mit der Stimmung im Volke. Der Minister schwieg.
    Sogar in den regionalen Abendnachrichten des staatlichen Fernsehens war zu bemerken, dass die Politiker, so sehr sie den Anordnungen ihrer Kommunikationstrainer folgten und versuchten, Gelassenheit auszustrahlen, von einer wachsenden Nervosität befallen wurden. Härte gegen alles Nicht-Heimische war doch seit Anbeginn der Zeiten ein Garant gewesen, Beifall von den Untertanen zu bekommen. Aber was geschah hier? Was war in die Untertanen gefahren? Dafür hatten die Herrschenden und ihre Trainer sichtlich noch keine Erklärung gefunden, und auch keine Methode, nutzbringend damit umzugehen.
    Eine diebische Freude erfasste mich, als ich ihnen zusah, wie sie rote Köpfe bekamen im Fernsehen und zu stottern begannen. Freude, weil ihnen ihre eigene Erfindung auf den Kopf gefallen war. Die staatstragenden Parteien hatten übernommen und professionalisiert, was das rechte Lager jahrelang als Laienspiel vorgeführt hatte. Das

Weitere Kostenlose Bücher