Das leere Land
dieser metallisch schneidende Geruch von Elektrizität, den die Automaten absonderten.
Heather und die Speedy-Jahre. Heather hatte ich geliebt. Heather mit dem weizenblonden Schoß hätte ich fragen sollen, ob sie meine richtige Freundin sein will, habe mich aber nie getraut. Ihre Schamhaare waren in Wirklichkeit bräunlich, dunkelblond, aschblond nannten es die Frauen damals, wenn Haare auf eine so unentschlossene Art blond waren. In meiner Erinnerung sind sie hell, ein Gelbton mit einem Zug ins Weißliche. Weil Heather so blond war, weizenblond. Aber Heather hatte kein Interesse an Gleichaltrigen. Der Gelbe war ihr Schwarm, ihr Freund, später ihr Mann, und schließlich ihr Untergang. Der erste Drogentote von Linz. Der Gelbe, so haben sie ihn genannt, weil er ein gelbes Gesicht hatte. Wahrscheinlich eine Lebersache. Hepatitis A, B, C, irgendetwas in dieser Art. Ist gestorben, da war er noch keine dreißig. Hat den ganzen Stress mit verdreckten Spritzen und Aids nicht mehr miterlebt. Miterleben müssen. War vorher tot.
Johann Georg Kohl zeigte ein auffälliges Desinteresse an allen bewusstseinsverändernden Ereignissen, als er 1855 in den Erdhütten der Anishinaabe an den großen nordamerikanischen Seen hockte. Immer wieder beschreibt er in Kitchi Gami , wie alles mögliche geraucht wurde und fremdartige Kräuter gegessen und seltsame Flüssigkeiten getrunken wurden. Es interessierte ihn nicht. Die Mide-Priester ließen ihn teilnehmen an einer tagelangen Zeremonie zur Einführung eines Säuglings in die Welt der Menschen. Lapidar reportiert Kohl, wie die Priester dem Vater des zu Initiierenden getrocknete Wurzeln reichten und riefen: Das soll ihn durch das Leben führen! Und wie sie ein geheimnisvolles schneeweißes Pulver brachten, dessen Namen und Funktion ihm niemand erklären konnte. Kohl fragte nicht nach. Er hielt es für Brimborium, spöttelte ein wenig, ganz entgegen seiner ansonsten stets spürbaren Sympathie für Sitten und Bräuche der Ureinwohner.
Den Gelben hatte nichts durch ein Leben geführt. Menocil-Mandy nannten sie ihn im Speedy am Anfang, als sein Gesicht noch nicht gelb war. Die frühen Sünden im Imperium der psychoaktiven Substanzen. Preludin und Menocil, dann bald Captagon. Sobald aus der Musicbox Mendocino kam, haben alle im Speedy gleichzeitig losgegrölt. Der Schlager, weißt du, Trixi sah mich an mit großen Augen, als ich sang: Mendocino, Mendocino, komm und fahr mit mir nach Mendocino. Das ganze Speedy sang laut und falsch und voll Begeisterung: Menocilo, Menocilo, komm und wirf mit mir ein Menocilo! Es waren eigentlich Appetitzügler, die Typen im Speedy haben sie eingeworfen wie die Irren.
Oh, Angie, don’t you weep, all your kisses still taste sweet. I hate that sadness in your eyes. Trixi schüttelte den Kopf, als ich sang zum MP3 -Lied aus dem Autoradio. Ja. Ich denke an Angie , wenn ich an das Speedy denke. Wegen Heather. Es war ihr Lied, manchmal drückte sie es dreimal hintereinander in der Musicbox. Wenn man in das Speedy kam, und Angie lief, dann wusste man: Heather ist da.
Wie weh das tut. Diese unglaublich intensive Sehnsucht nach etwas, für das ich damals keinen Namen hatte und auch heute noch keinen habe. There ain’t a woman that comes close to you. Ja. Das ist es, höchstwahrscheinlich. Mit jemandem sein, der einzigartig ist, und der einem gehört. Heather hat mir nie gehört.
Trixi drückte die Forward-Taste am MP3 -Player, etwas von Edgar Broughton, sie drückte gleich wieder, noch einmal Broughton, sie schaltete das Gerät ab.
Kalt und grau und auf einer ganz kleinen mickrigen Ebene brutal, so war mein Leben in den Speedy-Jahren in Linz, sagte ich laut. Am unerträglichsten war die unberechenbare und aus heiterem Himmel ausbrechende Grausamkeit und Gewalttätigkeit all der Junkies und kleinen Diebe und Wirtshausschläger. Nie war man ganz sicher, nicht bestohlen oder tätlich angegriffen zu werden. Und inmitten dieser Düsternis stand sie, Heather, zuverlässig, Tag für Tag, man musste bloß am frühen Nachmittag ins Speedy gehen, und sie war da. So was würde ich mir wünschen. Das wäre meine Vorstellung, wenn mich jemand fragt, wie ich es denn gerne hätte, dass die Dinge sein sollen: sich darauf verlassen können, dass jemand da ist. Na ja. Manchmal habe ich so spießige Anwandlungen. Dann kommen mich solch seltsame Gefühle an.
Ziemlich retro, sagte Trixi. Und: Hättest sie halt fragen sollen.
Du hast keine Ahnung, wie Heather war, sagte
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