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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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In-den-Keller-Stellen von Sachpolitik nämlich, von dialogorientierter Arbeit an tragfähigen Kompromissen, von Ernsthaftigkeit.
    An die Stelle von Engagement setzten sie Entertainment, an die Stelle von steter Kommunikation mit uns, dem Souverän, ein permanentes professionelles Medienkasperltheater. Statt auf die Hirne zielten sie auf die Bäuche. Zwar haben Politiker ohnehin nie viel im Sinn gehabt mit Hirnen, aber bis zum Anbruch des neuen Jahrtausends haben sie zumindest so getan, als zielten sie auf die Hirne und bemühten sich um die Herzen. Ab dem Zusammenschluss der Nationalen mit den Christlichen versuchten sie es nicht einmal mehr zu verbergen. Umgehend installierten sie eine patriotische Bilderflut und richteten ihre Attacken nur noch gegen die Bäuche. Und seither tun das alle. Sie kitzeln unsere Triebe und Instinkte heraus, auch die niedrigsten, und benutzen sie für ihre Zwecke.
    Statt auf das Rationale, das unendlich mühsam zu erklärende und gar nicht zu verkaufende Vernünftige setzen sie auf das Gefühlige. Das war ihnen in der sogenannten Abschiebedebatte um Mishi Bizhi, oder wie immer sie in Wirklichkeit hieß, auf den Kopf gefallen. Wie es den weißen Eroberern Nordamerikas und Ausrottern der Urbevölkerung auf den Kopf gefallen war, dass sie Prämien ausgesetzt hatten auf abgezogene Kopfhäute der Auszurottenden, und plötzlich begannen diese ihrerseits die Kopfhäute der Weißen abzuziehen. Auf einmal war Sam Hawkens der Skalpierte. Und genau so unsympathisch und trottelhaft wie Sam Hawkens stehen sie jetzt da, die Mandarine der Politkaste Österreichs.
    Unter all den May’schen Helden, die der sächsische Fantast erst als obskure Idioten einführt, ehe sie sich zum Entsetzen der Bösewichter als Übermenschen entpuppen, als unbesiegbare Supermänner, immer von deutscher Abstammung natürlich, ist Hawkens der trottelhafteste Idiot. Die unsympathischste Figur in Karl Mays Personal, der penetrant gute Deutsche, der die gemütliche Selbstgerechtigkeit des ebenso penetrant guten Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi übertrifft, und der auch noch die Welt nervt mit seinem angeblichen Witz.
    Die Begriffe auf den Kopf fallen und Skalpe nehmen zusammenzubringen erzeugt natürlich ein schiefes Bild, denn es geschieht ja das Gegenteil, es fällt nichts, es wird etwas hoch gerissen. Johann Georg Kohl hat es ausführlich beschrieben. Der Ojibbeway-Krieger Wattab hatte es ihm erzählt, ein großer, Furcht einflößender Mann, den Kohl mit den seltsamen Worten kühl und frisch schildert, mit Waffen behängt, mit den Skalplocken sechs besiegter Feinde in seinen Haaren. Eine siebte Locke hatte Wattab an seinen Tomahawk genagelt, weil sie etwas Besonderes war.
    Es war der Skalp des Lakota-Mannes Wabasha, des besten und stärksten Kämpfers seines Stammes. Wabasha war von einem Pfeil getroffen worden und lag ächzend im Kanu, rund um ihn die Boote seiner Mitstreiter. Wattab hatte so große Lust empfunden auf den Skalp des Sterbenden, dass er sich von seinem Kanu ins Wasser gleiten ließ, mitten durch die Feinde schwamm, das Haar Wabashas packte, das aus dem Kanu hing, sich daran hochzog und den Skalp nahm. Mit ein paar wenigen Messerschnitten. Dann schwamm er zurück zu den Seinen, mitten durch die Feinde, immer wieder das blutige Ding mit einer Hand hochreckend. Buanich Tigwan. Skalp eines Lakota.
    So ist es, wenn etwas genommen wird. In diesem Land hier hatten sie sich wie überall auf der Welt unangreifbar machen wollen, indem sie an die Stelle von spröder Verwaltungstätigkeit einen pausenlos aus allen Medienkanälen plärrenden Mummenschanz gesetzt hatten, ein makabres und perverses Wohlfühlspektakel wie in den einleitenden Sequenzen von Fellinis Satyricon . Aber jetzt machten die Medien und die Bürgergesellschaft aus dem Konflikt um das hübsche, kleine, zerbrechliche Wasserluchsweibchen ein Spiel mit Emotionen, das sich auf einmal gegen die Erfinder dieser Art von Spiel richtete, und in dem sie keine Gewinnchance hatten.

33
    An einem Abend vor dem Fernseher, in dem gerade Armin Assinger belangloses Oberflächenwissen im Multiple-Choice-Verfahren abfragte, begann meine Mutter auf einmal zu reden. Ein Kandidat war an einer Frage gescheitert, die ihm hundertfünfzigtausend Euro Gewinn gebracht hätte. Wo leben die Osedax-Männchen, hatte die Frage gelautet; schon bevor die vier möglichen Antworten auf dem Bildschirm auftauchten, hatte ich es laut gesagt. Im Eisack ihrer Weiber.
    Der Osedax ist ein

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