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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Füßen?
    Was hast du für seltsame rote Linien auf deinem Unterarm?
    Trixis Pulloverärmel war hochgerutscht, ohne dass sie es gleich bemerkte, als sie nach dem Wasserglas gegriffen hatte. Schon wieder Hotelcafé beim Schillerpark, schon wieder brauchte sie Geld. Sie grinste ein überwältigendes Grinsen mit ihrem volllippigen Mund, sie schmeichelte, sie umwarb mich wie ein hungriges Kätzchen den umwirbt, der die Futterdose und den Dosenöffner in der Hand hält. Dass ich der Einzige unter ihren Freunden sei, und es seien eine Menge Freunde, der offenbar über ein regelmäßiges Einkommen verfüge, plapperte sie wie ein Prinzesschenkind, und darum sei sie auf mich gekommen, ich nähme es hoffentlich nicht übel, es sei kein Problem, wenn ich ablehnte, und natürlich werde sie jeden einzelnen Cent zurückzahlen.
    Offensichtlich, sagte ich.
    Sie verstand nicht.
    Es heißt nicht offenbar ein regelmäßiges Einkommen, sondern offensichtlich ein regelmäßiges Einkommen.
    Klugscheißer. Bist du mir böse?
    Ich schüttelte den Kopf. Ich fragte, wie viel sie brauchte. Ich sagte ihr nicht, dass es wie eine wohlige Schauer auslösende Hitzewallung über mich gekommen war, als sie mich als Freund bezeichnet hatte.
    Der Pulloverärmel rutschte hoch, der Verband war weg, an der Innenseite ihres Unterarms lagen dicht an dicht diese rötlichen Striemen quer zur Richtung von Elle und Speiche, zwischen den roten Strichen ein paar von seltsam weißlicher Färbung, ein Farbton wie die Haut von Lurchen oder Olmen, die ein ganzes Leben in absoluter Finsternis verbringen. Sie hat also schon versucht, sich umzubringen, dachte ich. Zeitungen lügen offensichtlich doch nicht immer und ausschließlich.
    Doch sie hat es auf die falsche Art und Weise versucht, dachte ich. Sie hat falsch geschnitten, quer über den Arm, und nicht der Länge nach, wie es sein müsste. Nur Längsschnitte führen zu einer so schweren Verletzung von Adern und Venen, dass der Körper rasch ausblutet. Die meisten Selbstmörder machen es falsch und schneiden quer. Wenn sie nicht die Entschlossenheit zu einem tiefen Schnitt aufbringen, dann erreicht die Klinge die Blutgefäße gar nicht, sondern kratzt nur ein wenig an der Haut herum. Und wenn sie doch tief genug schneiden, durchtrennen sie dabei Sehnen und Bänder. Was ihm Falle einer rechtzeitigen Rettung durch wen auch immer zu einer Behinderung führt. Nein, Behinderung darf man nicht mehr sagen, wie man nicht mehr Indianer sagen darf, Beeinträchtigung, so heißt das jetzt. Beeinträchtigt durch steife Handgelenke ein Leben lang, oder zumindest bis zum nächsten und dann erfolgreichen Versuch.
    In diesem Moment bemerkte sie, dass ich auf die Spuren in ihrer Haut starrte. Sie zog den Ärmel hoch, so weit es ging. Die Linien reihten sich aneinander bis hinauf zur Ellenbeuge, dicht an dicht, die meisten blassrot, viele in dem kranken fahlen Weiß, ein paar überzogen von Resten schmaler Krusten getrockneten bräunlichen Blutes. Sie hielt mir diesen unentzifferbaren, weil sinnlosen und von keinem Gerät auf Erden auszulesenden Strichcode auf ihrem Unterarm demonstrativ vors Gesicht.
    Ist das irgend so ein Stammesritual, fragte ich, ein neuer Jugendkult? Mutprobe?
    Noch nie jemand ritzen gesehen?, sagte sie, sehr kühl und tonlos.
    Du machst das selbst?
    Es geht am besten mit dem Stanley-Messer. Sie grinste ein Angst machendes Grinsen. Das haben sie aber als Erstes versteckt. Vor mir kann man aber nichts verstecken, darum haben sie es weggesperrt, und schließlich haben sie alle Stanleys weggeschmissen.
    Bei indigenen Kulturen findet man häufig komplexe Formen von Beschädigungen der eigenen Haut, sagte ich, um auf diese Art Übergänge in Status oder Seinszustand rituell zu kennzeichnen.
    Es muss nicht unbedingt Stanley sein, sagte sie, aber Stanley ist am besten. Scharf muss es sein, scharf ist wichtig. Ein normales Messer schneidet zu schlecht. Bic-Rasierer sind das Zweitbeste. Die musst du zerbrechen, das geht ganz leicht, wenn du die Plastikteile zerbrichst, fühlt sich das an, wie wenn du eine Erdnuss knackst. Das Stahlband ist gefährlich. Wenn du nicht aufpasst, kannst du dir leicht die Finger zerschneiden. Aber wenn du es heraus hast, ist es fast so gut wie mit dem Stanleymesser.
    Die Narben künden sichtbar vom vollzogenen Übergang, sagte ich, Tod und Wiedergeburt, symbolhaft erlebt, sind abzulesen an der Neugestaltung des Körpers. Eine Erinnerung daran, was man am eigenen Leib erfahren hat. Und: Der

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