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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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über meinen Arm, oberhalb der Einstichstelle, um den Blutfluss zu befördern. Dann hob er die letzte Phiole hoch, sah sie an im Gegenlicht der Neonlampe und steckte sie zu den anderen in das kleine Ding, das aussah wie die Trommel eines Revolvers. Um ihn zu stoppen in seinem Hineingleiten in die Maturaklassen-Erinnerungsseligkeit, rief ich den Heiligen Mann zu Hilfe, Severinus, den Schutzpatron der Knastbrüder, Weinbauern und Leinenweber. Sieht aus, als wolltest du einen kleinen Reliquienhandel aufziehen mit sanguis meus, sagte ich, und kam gleich, ehe er irgendetwas antworten konnte, zu den Reliquien der Märtyrer Gervasius und Protasius, die der Heilige auf wundersame Weise aufgefunden und für sein Kloster in Mautern erworben hatte.
    Die Geschichte ist ärgerlich aufgebauscht in der Vita des Eugipp. Jeder Furz des Heiligen ist seinem Chronisten ein Wunder, das er bejubelt, wie heutige Teenager ihre Lieblingssänger kreischend bejubeln. Wunderwerk, dass Severinus Namen und Kleidung und Aufenthaltsort eines Reliquien-Dealers genau zu benennen weiß! Wunderwerk, dass dieser Mann heilfroh ist, endlich einen Abnehmer zu finden! Wunder über Wunder, dass er den Mauternern einen fairen Preis macht für die stinkenden Knochen der Mailänder Märtyrer!
    Ärgerlich wie die Legenden um Protasius und Gervasius. Zwillinge seien sie gewesen, lautet die fromme, aber durch nichts belegte und widersprüchliche Überlieferung, in Rom unter Kaiser Nero gefangen, nach Mailand geschafft und dort getötet worden, Protasius mittels Enthauptung, Gervasius mittels Auspeitschung mit Bleiknuten. Der Heilige Ambrosius habe die Reliquien der beiden triumphierenden Schlachtopfer Hunderte Jahre später aufgefunden, natürlich nach einer Offenbarung des Herrn, und in jene Kirche geschafft, in der er selber später als Reliquie in toto bestattet wurde. Nichts von Noricum in den Protasius- und Gervasius-Legenden. Eugipp selbst scheint gespürt zu haben, wie dürftig diese seine Geschichte ist. Er lässt Severinus Gott dafür danken, ihm bei diesen wie auch bei vielen anderen Ankäufen von Reliquien zuvor eine Offenbarung gewährt zu haben, gleichsam als Garantie, dass es sich bei den zu erwerbenden Holzsplittern, getrockneten Vorhautfetzen oder Knochen um Originalbestandteile handelte. Wusste Severinus doch, dass sich der Widersacher häufig unter dem Vorwand der Heiligkeit einschleicht, heißt es in der Vita . Was letztendlich nichts anderes bedeutet, als dass sowohl Severinus als auch sein Biograf Eugippius ganz genau wussten, was für ein Schwindelunternehmen dieser Reliquienhandel war, damals schon.
    Sehr interessant, sagte Bodinger, und fragte, ob ich mich noch an den Burschen aus der Klasse über uns erinnern könne, dessen Vater bei der UNO in New York angestellt gewesen sei und der regelmäßig John-Player-Special-Zigaretten mitgebracht habe. Goldene Schrift auf schwarzem Grund. In Österreich nicht im Handel, man konnte mit diesen schwarzen Packungen wirklich beeindrucken. Und wie dann einmal der Präfekt beim Nachmittagsrundgang völlig unerwartet unter die überhängenden Äste der großen Weide beim Fischteich im Stiftspark gekommen sei, wo sich die John-Player-Special-Raucher versteckt hatten. Und was das für ein Theater gewesen war. Und wie am Abend der andere Präfekt, der jüngere, gekommen war und mit anbiedernder Leutseligkeit gefragt hatte, ob ihm der Sohn des UNO -Mitarbeiters wohl eine Packung verkaufen würde.
    Ich bin ein wenig in Eile, sagte ich, ich will noch nach Passau.
    Gut, sagte Bodinger. Bis um sechs dann.
    Am Abend wieder die Ordinationshilfe, schweigend und routiniert stach sie in eine Fingerkuppe, fing das Blut auf mit ihrem Streifchen, verschwand grußlos. Auf dem Gang draußen ging Bodinger vorbei, als ich gerade meine Jacke vom Garderobenhaken nahm. In zwei Tagen wissen wir mehr, sagte er, und dass ich einfach kommen sollte, wann es mir passte, Anmeldung sei keine nötig. Nach einer kurzen Pause fragte er, ob ich mit diesen doch sehr ungewohnten neuen Entwicklungen in meinem Leben klarkäme.
    Denke doch, sagte ich, grinste ein bisschen, sagte, dass ich praktisch keinen Zucker mehr gegessen und auch kein Bier mehr getrunken hätte seit seiner Erstinformationen bezüglich Diabetes mellitus.
    Gut, sagte Bodinger. Und Sport?
    Sport ist schlecht.
    Wirst dich damit anfreunden müssen.

39
    Was hast du für ein Schmerzflackern in deinen Augen?
    Was hast du für ein enervierend regelmäßiges Angstklopfen in deinen

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