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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Verschwinden des Eises hinterher, Generation um Generation nahm neues Land in Besitz, füllte es auf mit Menschengewusel und Behausung und Jagdrevier und Nutzgetier und Wegen und Kriegen. Bis sie aus den nassen Wäldern traten, und auf einmal war die Welt zu Ende, abgeschnitten von der graubraunen Schlammsoße, unüberwindbar, aufs Erste zumindest. Sie standen und starrten und gaben dem Hemmnis einen Namen, Schnelles Wasser oder Großes Wasser oder beides, Großes Schnelles Wasser. Sie starrten hinüber, heißeste Sehnsucht brannte in ihnen nach dem Drüben, weil drüben, da ist es immer besser.
    Kurz überlegte ich, eine Donausage zu erfinden, eine weitere von den unzähligen Lügengeschichten, die es schon gibt zwischen Rumänien und dem Bajuwarenland von all den Nixen und Zauberern und Fährmännern und Königskindern und düsteren, einäugigen, schätzeversenkenden Rittersmännern, und sie in den Aufsatz zu stellen und sie auszugeben als uralte kelto-germanische Überlieferung aus der bayerisch-oberösterreichischen Grenzregion.
    Yhras Stamm erreichte das Schnelle Wasser im späten Herbst, so sollte es anfangen, in jenen Monden, als die Sonne schon tief stand und der Frost in den Nächten immer weiter ausgriff in den Süden. Die Kriegerkönigin, die große Yhra, befahl, das angstvolle Geschrei einzustellen. Die Heldin bestieg den Stamm einer liegenden Weide, der halb aus dem Uferschlamm ragte, monatelang war der gestrandete Baumstrunk im Wasser getrieben, war jetzt kein Holz mehr, sondern nur noch ein Bündel von Fasern, zusammengehalten in der Form eines Wurzelstrunks vom gefrorenen Wasser in seinen Zellen, vom Eis. Im Frühjahr, wenn ihn nicht der Fluss vorher holt, wird das Eis schmelzen und der Strunk wird zerfallen in mehlige Stränge und Fäden.
    Nicht mehr Baum ist das, was einer hört, der sein Ohr an diesen gefrorenen Holzklumpen drückt und horcht, sondern Fluss. Yhra kniete nieder auf ihrem hölzernen Podest und lauschte. Der Strunk erzählte. Er hatte die Erinnerung des Wassers anstelle jener des Holzes, von oben erzählte er, wo der Fluss erst ein Rieseln zwischen den Felsen ist, und vom Bach, der durch die Auen plätschert im Sommer, vom dürren Laub aufgestaut wird im Herbst, zu einem schmalen Eisband gefriert im Winter, aber der im Frühjahr breit und voller Kraft zwischen den Weiden dahinschießt.
    Dann sprang sie herab und kniete erneut nieder und lauschte den Steinen. Diese Steine macht die Hitze gläsern hart im Sommer, wenn Wellen kalten Wassers über sie schwappen, knacken sie knisterig, werden dunkler, trocknen rasch wieder. Die Weiden im fahlen Herbstlaubbunt, das Grau der schlammigen Erde übersät von vereinzelten Grasbüscheln, die gegen das Weggeschwemmtwerden ankämpfen. Der Geruch schwer und faulig. In der Nacht flirren die letzten Mücken sterbend dicht über der Wasseroberfläche.
    Nur Yhra hörte das Klagelied vom anderen Ufer, a ja ah ah ja ja ja, und ich hörte es im müllübersäten Unterholz von Zwentendorf, was ist das, sirrende Reifen eines lautlos dahingleitenden Autos, ein Betrunkener, der zu Fuß nach Hause geht und die Angst wegsingt, na na jajajaja? Das Zischen der Nacht, das Flüstern des Stromes, die winzigen, flackernden Lichtflecken auf dem Wasser, die alten Weiden wandeln sich, ihre Schatten die Schatten mächtiger Mütter, sie sind es, die Weidenmütter singen, ihre Arme reiben sie aneinander wie Grillen ihre Zirpglieder reiben.
    Und dann sang die Herrin des Stammes, Yhras Lied schallte über das Wasser, sie summte und kreischte der Welt ihre Gebote und Verbote entgegen, und sie heulte den Fluss an, bist nicht bereit, sang sie, bist kein Sohn von Frauen, bist kein Sohn, bist nicht bereit für unser Reich. Die Steine sind die Verbündeten der Mütter, im Mondlicht glänzten ihre harten, trockenen, glatten Rundungen lila und violett, manche fahlgelb, betritt uns nicht in der Nacht, brummten sie, gehörst nicht hierher. Und Yhra stieß ihren Speer in das Ufer, dass die Steine beiseite spritzten und das Feuersteinblatt an der Spitze des Speeres hinabstieß bis in den kalten nassen Sand unter den Steinen. Mein Stein liegt nun unten bei euch, murmelte die Kriegerin. Wir sind deine Mütter, sagten die Steine und ergaben sich, wir sind deine Mütter, sagten die Weiden zur der im Mondlicht fahl und hell schimmernden Großen Frau mit den roten Haaren.
    Aber wenn der Blick noch weiter zurückreichen soll in der Vergangenheit Fernen, dann war es wohl eine schwarze Frau, die

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