Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
Vom Netzwerk:
Wagens sichtbar wurde, mussten die Fundamente des Ruhmes der Linzer Schönheit gebaut sein.
    Er fragt, wie die Schöne heiße, Peppi, sagt sie, der angehende Polyhistor schweift ab in oberlehrerhafte Halblustigkeit in seinem Text. Die schönen Linzerinnen hießen wunderbarerweise in der Regel Peppi, jedoch auch Nannerl zuweilen, auch andere mitunter Resi, und da schreibt er in Klammer dazu, dass dies von Therese komme. Dann schwärmt er weiter: Peppi hatte ein eng anschließendes Mieder von dunkler Farbe an, und um ihr schlicht gescheiteltes Haar trug sie ein schwarzes Tüchl geknotet, dessen lange Enden zur Seite in die Luft flatterten. Und so, auf diese Weise, haben’s fast alle Peppis und Resis in Linz. Wir fanden, dass sie dies alles, besonders das flatternde Tuch um den Kopf, so hübsch kleidet, dass wir beinahe sämtlichen Schönen der Welt diese Coiffure anempfehlen möchten. Oh Linzerinnen, wachet und bewahret die Tracht, denn nach den Zeiten, da Linz Freude und Jugend euch bot, kommen verführerische!
    An diesem Abschnitt von Kohls Text verfestigte sich meine Überzeugung. Peppi war meine Ururgroßmutter. Ich wusste es. Peppi aus der Kutsche hatte sich dem Werben des zweiunddreißig Jahre alten gelehrten Herrn aus dem deutschen Norden hingegeben. Es war nicht mehr als ein Abenteuer gewesen, für ihn, für sie eine von den Unannehmlichkeiten, die man als Frauensperson damals stets zu gewärtigen hatte. Dann war sie schwanger geworden, hatte ein Kind geboren.
    Kohl hatte die Frucht seines Leibes nie zu Gesicht bekommen, so war das alles zu erklären, aber er hatte sie anerkannt. Wenn all die alten Dokumente und Briefe und Fotos meiner Familie nicht im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden wären, fänden sich Korrespondenzen. Unveröffentlichte. Aus diesen war hervorgegangen, dass der große Reisende mit seiner Liebschaft in Kontakt geblieben war, über Jahre, dass er sich regelmäßig erkundigt hatte über das Fortkommen seines Sohnes. Es musste natürlich ein Sohn gewesen sein. Und Kohl hatte nicht nur Interesse an seinem Nachwuchs aufgebracht, er hatte ihm und seiner Mutter auch Geldmittel zukommen lassen. Und das Wichtigste: Er hatte seinen Sohn als solchen angenommen und darauf bestanden, dass in den Pfarrmatrikeln der Familienname des Vaters angeführt wurde.
    Oder vielleicht war es auch so gewesen: Die verzweifelte Peppi berichtete Kohl brieflich von dem Unglück, das ihren Leib heimgesucht hatte, den Galan überkam eine heiße Welle von Lust auf Verantwortung. Johann Georg ließ die schwangere Peppi nach Dresden kommen, bestand darauf, den Sohn auf den Namen Johannes taufen zu lassen, stand zu seiner Vaterschaft. Nahm den Sohn als Erben an, gab ihm den Namen Kohl. Eine Weile nahm er Peppi mit auf seine Reisen, in Schottland, England und Wales war sie an seiner Seite. Was den lockeren, entspannten Ton seiner Bücher aus jener Phase erklärt. 1845, in Paris, war Peppi plötzlich nicht mehr dabei. Sie und Johannes verschwanden aus dem Leben des großen Reisenden, warum, ist nicht überliefert.
    Die Verursacherin dieser Verstoßung war Johann Georg Kohls Schwester Ida gewesen, davon bin ich überzeugt. Es ist ja bekannt, dass Ida in seinen letzten Lebensjahrzehnten die einzige und dominante Frau in seinem Umfeld gewesen war. Sie hatte dem Reiseschriftsteller mit derart heftiger und konstanter Penetranz das Zusammensein mit dem Bauerntrampel aus den österreichischen Landen schlechtgeredet, bis dieser Peppi schließlich verstoßen hatte. Doch zu Johannes ist er immer gestanden, wenn auch nur aus der Ferne, bis an sein Ende im Jahr 1878 hatte er seinem Sohn regelmäßig kleine Geldbeträge zukommen lassen, heimlich, hinter dem Rücken Idas.
    Johann Georg Kohl zeugte Johannes Kohl in Linz, Johannes zeugte Martin, Martin zeugte Joseph, Joseph zeugte Walter. So war das. Heute würde ich um ein Vorwort mit diesem Inhalt mehr kämpfen als vor sieben Jahren. Gönnen Sie Kohl eine Liebschaft aus Linz, würde ich rufen mit großer Leidenschaft. Es wird das gebildete Publikum erfreuen. Es wird gleich an Goethe denken und Marianne Willemer.
    Auf dem Foto auf der Aufschlagseite von Kitchi Gami sieht Johann Georg Kohl aus wie ich. Das Bild ist 1854 entstanden. Hundert Jahre vor meiner Geburt. Es sind vor allem seine Augen, oder, genauer, seine Augenbrauen. Als die Abbildung entstand, war Kohl sechsundvierzig Jahre alt gewesen. Wach und streng blickt der Mann im protzigen Pelzmantel den Betrachter an. Seine rechte

Weitere Kostenlose Bücher