Das leere Land
hatte aus zwei Patronen mit seinem Taschenmesser die Schrotkugeln herausgekratzt und an ihre Stelle Sauborsten in den Pappzylinder gestopft. Zwei feste Pfropfen gedreht aus Haaren, die sie vom Leichnam eines fetten Schweins geschabt hatten, es mit schweren Ketten wälzend im Heißwassertrog, jedes einzelne Haar etwa einen Zentimeter lang und borstig hart, die saßen auf den Pulverladungen im Doppellauf der bäuerlichen Jagdflinte und warteten auf kindliche Marillenräuber.
Mitten in den Arsch habe er ihrem Kameraden eine Borstenladung gefeuert, erzählten uns die vielleicht zwei oder drei Jahre älteren Kinder mit verschwörerischem Flüstern. Kannst dir vorstellen, wie das brennt, hundert Sauborsten im Arsch. Dauert Stunden, bis deine Mutter mit der Pinzette jede einzelne herausgezupft hat. Und ein paar übersieht sie ganz gewiss, die fangen dann zu eitern an und brauchen Wochen, bis sie herausschwären. Wir zitterten vor Angst, schlichen aber trotzdem zum Südtor des Sauborstenbauern, holten uns seine Marillen, sobald es dunkel genug war.
Der Vater von der Anne mit den geilen Emma-Peel-Kunstlederhosenanzügen war der Ortsgruppenleiter gewesen. Das hatte ich nicht gewusst. Ja, sagte meine Mutter, bei der SA war er, er hat dann die Hahnenschwänzler beim Dorfwirten zusammentreiben lassen, im Innenhof. Alte Rechnungen wurden beglichen, gleich, im März noch. Alle Heimwehrmänner, die zwei Jahre davor die Nazis verdroschen hatten, holten sie ab, auch die aus den Nachbardörfern, einen sogar aus Linz. Dann begann ein großes Misshandeln. Sie haben sie gewascht als wie die Stiere, sagte meine Mutter, seltsames Wort, gewascht. Der und der und der sind geprügelt worden, sie nannte Namen, die ich alle kannte, deren Kinder sind mit mir in die Volksschule gegangen. Es hat Schwerverletzte gegeben, sagte sie. Keine Toten, soviel sie wisse, aber Knochenbrüche, Messerstiche, blutende Platzwunden noch und noch.
Hör auf damit, wollte ich sagen, traute mich nicht, hör auf mit diesem Nazizeug. Ich will etwas anderes hören. Etwas von dir. Und von deinem Bruder. Wo ich heute hinfahren würde, fragte sie mich schließlich. Ich sagte, dass ich die meiste Zeit in meinem Zimmer bleiben würde, um endlich mit der Reinschrift des Aufsatzes zu beginnen. Gleich fiel mir auf, dass ich den Raum ganz selbstverständlich wieder mein Zimmer genannt hatte.
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Musst ihr wehtun, wenn ihr das Wehtun guttut, blaffte die Teufelseiche in einen Traum hinein, drücken, pressen, dem Lüchslein nahe sein, ein Herz dir fassen, fassen Altmännermut, in den jungen Leib steck Guttun hinein! Nicht scheuen den Sprung in ihre geile Glut, nicht schrecken zurück vor ihrem Gewein! Willst du von Jugend dich erschüttern lassen, musst nach dem Jugendkörper fassen!
Schon wieder ein Gang durch das Dorf, schon wieder eine Probe, ich habe aber keinen Mut, seufzte ich, niemand hörte mich, ich will nicht, dass ihr etwas wehtut, ich würde verhindern, wenn ich könnte, dass sie selbst sich wehtut. Ich sah Mishi Bizhi Trixi irgendwo in einem Auto sitzen bei einem fremden Mann, konnte nicht genau erkennen, was sie taten. Danach stieg sie aus und kam zu mir herüber, aus dem Auto dröhnte Bob Marley, nein, Frau, nicht weinen, ich weine nie, sagte Trixi, bin eine, die nicht weint. Heul dich aus, sagte ich zu ihr, heulen ist heilen, lass es heraus, es wird dir gut tun. Heulen ist Scheiße, sagte sie.
Dann standen wir am Rand des Dorfes, es war finster, Trixi ging weg und kam gleich wieder zurück mit einem dicken Büschel Eichenlaub in ihren Fingern, es war aber kein frisches Laub, sondern sah modrig aus und fleckig, dieselbe Farbe wie das granitene Laub auf dem Kriegerdenkmal, grau und voller grüner Algenschlieren und Moosflecken. Jetzt ich, sagte ich, Trixi lachte und sagte, dass ich nicht gehen müsse, wenn ich Angst hätte, sie würde das verstehen.
Dann war sie verschwunden und in meinen Kopf meckerte nur noch die Stimme des Eichenbaums. Sie erteilte mir einen klaren Auftrag. Ich wurde angewiesen, meine Mutter zu fragen nach seltsamen Kreuzen auf dem Friedhof. Sie würde es dann schon gleich wissen. Wo genau waren eigentlich die seltsamen Kreuze auf unserem Friedhof?, sollte ich sie fragen, sie würde dann fragen, wo ich das herhätte, dass sich so was jemals in unserem Dorf befunden hatte, da sei ich doch erst ein Jahr alt gewesen, als die Russengräber weggekommen waren. Da könnte ich mir was ausdenken, hab alte Fotos gesehen im Internet, oder: haben wir in
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