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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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als Erste gestanden ist an den Gestaden des namenlosen Flusses, der dann Donau werden sollte, nach Hunderten von Generationen waren sie angelangt hier, hatten das ganz Große Wasser überquert, immer weiter nach Norden waren sie gezogen, hatten das ganz Große Gebirge überwunden. Jede Generation brachte Abenteurer hervor, wenige nur, aber besessene, die es nicht aushielten bei dem was war wie es immer war, die weiterzogen, in die Fremde, in das Neue, und ihre Töchter und Söhne wieder, und deren Töchter und Söhne wieder und wieder, bis sie die Schotterufer erreichten bei Schlögen oder Wilhering oder Lorch oder Mautern. Aus Afrika waren sie gekommen.
    Eine aparte Idee, dachte ich. Wie die ersten Menschen an den Ufern dieses Stromes letzten Endes Afrikaner gewesen waren, und wie Severinus in einigen Quellen den Beinamen Africanus trug, fiel mir da ein, der Afrikaner, das müsste man irgendwie verknüpfen. Kurz überlegte ich, in den Aufsatz eine diesbezügliche Deutung einzubauen über die vielen Stellen der Vita Sancti Severini , in denen Eugipp beschreibt, wie jeder Mensch, der dem Heiligen Mann begegnet war, zutiefst erschauderte bei seinem Anblick. Wie schrecklich muss für die romanischen Bauern und erst für die bleichhaarigen Barbaren ein schwarzer Mann gewirkt haben. Ich erwog, Parallelen zum Hier und Jetzt zu ziehen, Europas Problem mit der Migration aus Afrika anzureißen, sowie Überlegungen anzustellen, wie der Einbruch von Fremdem, Unbekanntem von instabilen Gesellschaften als Bedrohung wahrgenommen wird. Ich verwarf die Idee.
    Über Severinus’ Beinamen hatten sie über Jahrzehnte gestritten im zwanzigsten Jahrhundert. Die wahren teutschen Philologen und Germanisten und Altertumsforscher konnten nicht leben mit der Vorstellung, der Heilige Mann sei womöglich ein Neger gewesen, wie man damals noch ohne Zögern sagte, oder Berber, Araber, Maghrebiner. Africanus bedeute nur, so beharrten sie mit großer Überzeugungskraft, dass seine – römische! – Familie möglicherweise lange Zeit in punischen Landen gelebt hatte, an den Küsten Nordafrikas. Aber allein seine Sprache beweise, dass es sich um einen Lateiner reinsten Blutes gehandelt habe, ein Römer wie ein Römer nur sein kann. Diese Ansicht hat sich durchgesetzt, auch wenn das Argument mit der Sprache auf tönernen Füßen steht. Wir kennen nämlich die Sprache des Severinus nicht, wir kennen nur jene Eugipps.
    Möchtest glanzvoller Sänger von Sagen sein, mischte sich die Teufelseiche ein, als ich in der Nacht die Geschichte von Yhras Lied in den Laptop zu tippen begann, doch weh, dein Vermögen ist viel zu klein. Sie verlachte mich, sie gab mir Ratschläge, ich möge einfach einen positiven Kommentar zu Severinus verfassen und nicht versuchen, im Stil von Bestsellerschreibern fiktionale Historiengeschichtchen auszuspinnen. Außerdem, kicherte die Eiche, hätte ich ja völlig außer Acht gelassen, dass der Stein in Zeiselmauer und die Donaupromenade mit den vielen Gastgärten in Aschach ja gar nicht am Donauufer gelegen waren in alten Zeiten. Wahrscheinlich lagen die Ufer Hunderte Meter weiter südlich, oder nördlich. Denn die Donau war ja ständig in Bewegung, bevor der Strom reguliert, ganzjährig schiffbar gemacht und mit einer Kette von Kraftwerken bestückt worden war, ein wild mäanderndes Gewässer sei sie über weite Strecken gewesen, weshalb auch nichts mehr dort zu finden sei, wo es sich einmal befunden habe. All die Gemüsebauern im Eferdinger Becken beispielsweise lebten von dem Schlamm, den die Donau einst abgelagert hatte in ihren ständig wechselnden Betten, aus denen schließlich die Halden heraustrockneten und versteppten, wo sie heute ihren Spargel ernten und ihre Erdbeeren.
    Mit Sicherheit seien die frühesten Bewanderer der Donauufer nicht dort gestanden, wo wir heute in Tulln im Café des Jachthafens lümmeln und den Ausblick genießen auf die sanft im Sonnenuntergang schaukelnden Boote. Mancherorts standen sie sogar Kilometer weit im heutigen Landesinneren, also nicht in Passau, sondern in Jaging oder Übervoglarn, und nicht in Mautern, sondern vielleicht in St. Pölten, und nicht in Linz, sondern vielleicht dort, wo jetzt der Flughafen von Linz liegt, Hörsching, Hoheitsgebiet derer, die Die Menschen des Clanführers Hörsch sind, oder Hilkering, Ort des Hilk. Oder sie standen dort, wo sich jetzt das prachtvollste Renaissancebauwerk, das profane Bauherren je in obderennsischen Landen errichten ließen, in einer

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